Page - 94 - in Anton Kuh - Biographie
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er uns fast 2 Stunden raubte, den fast ungeteilten Beifall einer deutschen
Stadt, deren Bevölkerung er pueril unentwickelt nannte.«59
Vorbehaltos wohlwollend dagegen der Kollege von der »Teplitzer
Zeitung«: »Alle, die von dem geistvollen Feuilletonisten eine amüsante
Stunde erwarteten, kamen bei seinem vorgestrigen Vortrage voll auf ihre
Rechnung; die anderen, die gekommen waren, um über Sexualrevolution
aufgeklärt zu werden, erfuhren gründlichste Enttäuschung. Denn es war
kein wissenschaftlicher oder kulturpolitischer Vortrag in ernstem Sinne,
sondern eine von Witz, Übertreibungen und Paradoxen übersprudelnde
Conférence, wenngleich eine Conférence, die in gleicher geistiger Höhe
bisher kein Kabarettconférencier zu bieten imstande war.«60
Einigermaßen versöhnt zeigt sich »J.« bei der Besprechung des zwei-
ten Anton-Kuh-Abends in Teplitz, der der »Tragik des Judentums«
gewidmet ist. Nicht bloß habe der Vortragende »J.«s Kritik aufgenom-
men, er habe sich diesmal auch, so »unsachlich [er] sich im ersten Vortrag
auf Seitensprüngen politischer Satire« verloren habe, diesmal »feste
Marschroute ausgestellt und hielt sie ein«.61 Die »Teplitzer Zeitung«
hält Kuh zugute, daß er »so viel an guter Gedankenarbeit und
geistvoller Anregung« geboten habe, »daß man über unter-
schiedliche Ungereimtheiten und mancherlei, das offenen
Widerspruch herausforderte, hinweggehen und ihm mit lau-
tem Beifall für den interessanten Abend danken konnte«.62
Die Richtung ist eingeschlagen: Prag, Teplitz – Berlin. Als Anton
Kuh Anfang 1920 nach Berlin geht, hat er dort als Wiener Korrespon-
dent der »Neuen Berliner Zeitung« schon publizistisch Fuß gefaßt,
deren allererste Nummer mit der Schlagzeile »Liebknecht erschossen!«
am 16. Januar 1919 erschien. Kuh war bis Ende März 1919 Wiener
Korrespondent, Dutzende anonyme telegraphische Berichte dürften
von ihm stammen. Er schreibt nun gelegentlich für die Hauptstadtzei-
tungen, so für den »Berliner Börsen-Courier«, das führende Wirtschafts-
blatt der Metropole, das sich unter der Ägide von Emil Faktor einen
ausführlichen Kulturteil leistet, einen Nachruf auf den einundsiebzig-
jährig verstorbenen Herausgeber der »Neuen Freien Presse«, Moriz
Benedikt,63 und für das bürgerlich-liberale »Berliner Tageblatt« vier
Tage darauf einen Nachruf auf Prinz Aloys Liechtenstein, den früheren
Landmarschall von Niederösterreich und Vorsitzenden der Christ-
lichsozialen Partei.64
Furore macht er in Berlin als Stegreif-Redner. Die »Vossische Zei-
tung«, die Kuhs ersten Berliner Vortrag, »Die sexuelle Revolution«, in
der Abend-Ausgabe vom 19. Feber 1920 noch sehr verhalten angekün-
digt und leise Zweifel am Ruf geäußert hat, der Kuh aus Prag und Wien
Teplitz-Schönau /
Teplice-Šanov,
Kaiserbad-Veranda,
18.1.1920, 20 Uhr:
Die Tragik des
Judentums
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Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anton Kuh
- Subtitle
- Biographie
- Author
- Walter Schübler
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Size
- 13.8 x 22.2 cm
- Pages
- 576
- Category
- Biographien