Page - 116 - in Anton Kuh - Biographie
Image of the Page - 116 -
Text of the Page - 116 -
116
Nach der Premiere von Werfels »Spiegelmensch« am Burgtheater am
22. April 1922 – die Karl Kraus schmähende Szene des Erlösungs-
dramas war aus Angst vor Ausschreitungen von Kraus-Anhängern
gestrichen wordenÂ
– bekennt sich Kuh dazu, Urheber jenes lautstarken
Beifalls gewesen zu sein, der sich in den Besprechungen tags darauf als
»vorlaute Claque« bezeichnet fand. »La claque c’est moi« ist Kuhs
Haltung, wenn es gilt, abseits ästhetischer Fragen Front zu machen
gegen den »verdorbenen Intelligenzplebejer«, konkret: aufgehetzte
Kraus-Jünger. »›Hoch Gethe!‹ schrie eine intelligenzverpickte Küm-
merlichkeit mit Angstaug und Flatterhaar, der mangels Anwesenheit
ihres Gottes kein anderes Stichwort zur Hand war, als ich mit dem
Dichter nachher die Straße überquerte. (Man sieht: ich bin Clique.)«14
In »Literatur oder Man wird doch da sehn«, Ende Feber, Anfang
März geschrieben, am 6. März in Wien erstmals öffentlich vorgetragen
und Anfang April 1921 erschienen, in der Kraus den zumeist pragstäm-
migen Expressionisten, die ihm an den Karren gefahren waren, ins-
besondere Franz Werfel in der Figur des »Sohns«, furios die Löffel
langzieht, karikiert er Stil, Motive und intellektuelle Moden der expres-
sionistischen Bewegung. Er läßt neben den unverkennbar konkreten
Personen aus der literarischen Szene nachgebildeten Figuren – Franz
Werfel, Franz Blei, Ernst Polak, Robert MĂĽller, Georg Kulka, Albert
Ehrenstein, Hugo SonnenscheinÂ
– Mänaden und Bacchanten auftreten,
in denen er das weibliche Kaffeehauspublikum und die im Kaffeehaus
verkehrenden Literaten typisiert, und travestiert den gängigen Vater-
Sohn-Konflikt des expressionistischen Dramas zu einem Arrangement
zwischen den Generationen, indem er den Sohn die Kunst als Geschäft
betreiben läßt, und das so erfolgreich, daß er damit die Ansprüche des
Vaters erfüllt. Unter den chorischen »Rufen« unverkennbar Anspielun-
gen auf Kuhs »Juden und Deutsche« und – im letzten – auf Kuh per-
sönlich : »›Das ist sein Vaterkomplex!‹ ›Selbsthaß des Judentums!‹ […]
›Ich krieg Reiß für ein Buch gegen ihn!‹ […] ›Wir haben beschlossen,
wir kommen von allen Seiten und machen einen Angriff gegen ihn!‹
›Ich komme von rückwärts gegen ihn, da kenn ich mich aus!‹«15
Grell ĂĽberzeichnend parodiert Kraus die Sprachstile der einzelnen
Figuren und Figurengruppen. Außer dem »faustischen«, bombastisch
pseudogoethischen Ton in der Rede des Sohnes – der lachhaft über-
angepaßte Ersatz des Jargons des Geburtsmilieus – wird die jüngere
Generation durch den Gebrauch des von Kraus so genannten »neujour-
nalistischen Stils«, die ältere Generation durch den des jüdischen Jargons
vorgefĂĽhrt. Mag die Prager Expressionisten-Generation noch so sehr
Ästhetentum affichieren und ein vom Jargon der Väter geläutertes Idiom
back to the
book Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anton Kuh
- Subtitle
- Biographie
- Author
- Walter SchĂĽbler
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Size
- 13.8 x 22.2 cm
- Pages
- 576
- Category
- Biographien