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dichterischen revolutionären Schwärmer, der daran litt, kein vollwertiger
Normalbürger zu sein, und gleichwohl mit Haß und Todfeindschaft
gegen alles Normale und Bürgerliche geladen« gewesen sei; und pole-
misiert er gegen Gerhart Hauptmanns Goethe-Pose und den »Natura-
lismus als ›die naturwahrste Kristallisation des Tinnef‹«.30
Drei Tage darauf ein Thema mit entschieden weniger Sex-Appeal.
Trotzdem »stürmischer Applaus« für die »Kunst seiner beweglichen
und ideenreichen Dialektik […], die drei sonst nicht leicht zu verknüp-
fenden Begriffskomplexe durch feingesponnene Beziehungsfäden mit
einander zu verschlingen«: Gemein sei Expressionismus, Dadaismus
und Kommunismus der »Wille, den Dingen die Maske herabzureißen
und unter der Larve das wahre Gesicht zu enthüllen«31
– referiert jeden-
falls die einzige Besprechung des Vortrags.
Mal unter dem Titel »Der Jude und der Deutsche«32, mal
unter »Juden und Deutsche«33 Anfang Oktober in den Prager
Tageszeitungen angekündigt, findet der Vortrag schließlich
am 12. Oktober 1922 in der Urania unter dem Titel »Die jüdi-
schen Reichen« statt. Als »Gesellschafts-Sensation«34 ausge-
schildert, bei der das Publikum »amüsante Invektiven und örtliche
Humoranklänge zu gewärtigen« haben werde35, wird der Große Saal
wieder einmal gestürmt. Kuh liefert diesmal eine detaillierte Ausein-
andersetzung mit einer Spielart der Assimilation. Er stellt dem »alten
Reichen« den »neuen« gegenüber, dem »Würde-Juden«, der sein Geld
mit dem »politischen Moralbegriff, dem Umhängebart des Libera-
lismus« verbrämt und in der Fiktion der, »Kuhisch ausge-
drückt: […] Dreieinigkeit Goethe, Bismarck und Börse« lebt36,
den »Sachlichkeits-Juden«, der ohne Rücksichten, mit »Tachles-
blick« und ohne Umschweife sein Geld erwirbt, ohne seiner
Gewinnsucht und Profitgier das Mäntelchen kultureller und
gemeinnütziger Wohltäterschaft umzuhängen. Kuhs Sympathien sind
ganz beim Typus »Sachlichkeitsmensch«, dem er allerdings nicht ver-
zeihen kann, daß er, kaum arriviert, seine Bücklinge vor »Würde« und
»Kultur« macht, daß er nicht den Mut hat, »Shylock zu sein und sein
Pfund Fleisch, den Kulturspeck über dem Herzen der Menschheit,
auszuschneiden, sondern lieber weiter Nathan den Weisen [spielt], den
philosophischen Kommerzialrat des Pogromsultans Saladin«37.
Max Brod, der sich wiederholt stark gemacht hat für Anton Kuh,
teilt weder dessen Sympathie für den Typus »Sachlichkeits-Jude« noch
auch dessen Amoralismus. Hatte er schon in seiner Besprechung von
»Juden und Deutsche« in Kuh den Prototyp des »jüdischen Nietzsche-
Liberalen« gesehen,38 so nimmt er ihn nun wieder in dieser Stoßrich-
Prag, Urania,
Großer Saal,
12.10.1922,
20 Uhr:
Die jüdischen
Reichen
Prag,
Mozarteum,
6.2.1922, 20 Uhr:
Expressionismus,
Dadaismus,
Kommunismus
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Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anton Kuh
- Subtitle
- Biographie
- Author
- Walter Schübler
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Size
- 13.8 x 22.2 cm
- Pages
- 576
- Category
- Biographien