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weiterer Zeugen und zur Zusammenziehung der neuerlichen Verhand-
lung mit der vom Angeklagten erhobenen Gegenklage.«19
Im Mai 1923 etwas im Stadtbild bis dahin nicht Gesehenes: Couleur-
studenten
– jene farbentragenden Jünglinge, die sich nicht nur wochen-
tags bei den täglichen antisemitischen Krawallen in den Hörsälen hervor-
tun, sondern sonntags auch in Rudeln in Ringstraßencafés einfallen und
Menschen mit der »falschen Nase« aus den Lokalen zerren, um sie zu
ver
prügeln
–, die man ansonsten nur in der Josefstadt und am Alsergrund
antraf, pflegen den sogenannten »Bummel«, den »Brauch, seine Gesin-
nung paarweise äußerln zu führen«,20 nun auch in Gegenden, wo sie
sich früher nicht sehen ließen: in der City. Studentenkappeln
– »Wahr-
zeichen von Taschengeldgesinnung, Provinz und Straßenfremdheit« –
auf dem Korso, die »unwienerische, plebejische Farben-Note« kin-
disch-patzig in die weltstädtische Flaniermeile getragen: für Kuh ein
untrügliches Symptom: »Ein Schritt weiter auf dem parteilicher- und
behördlicherseits entschlossen eingeschlagenen Weg, die entkaiserlichte
Stadt auf den Rang von Graz hinabemporzudrücken.«21
Pogromartige Krawalle sind an Universität und Hochschulen an der
Tagesordnung. Die Behörden weigern sich unter dem Vorwand des
vorgeblich autonomen Hochschulbodens einzuschreiten. Hakenkreuz-
tragende Studenten stürmen am Vormittag des 19. November 1923
unter den Rufen »Juden hinaus!«, »Hoch Hitler!« und »Hoch Luden-
dorff!« Hörsäle am Anatomischen und am Physiologischen Institut
sowie an der Juridischen Fakultät, sprengen die Vorlesungen jüdischer
und sozialistischer Professoren und mißhandeln jüdische Hörer. Als der
Rektor die Sperrung der Universität verfügt, besetzen die krawallieren-
den Couleurstudenten die Aula und die Rampe der Universität. Redner
aus Berlin und München ergreifen das Wort: Man müsse dem deutschen
Beispiel folgen und dürfe nicht eher ruhen, als bis die Hakenkreuz-
fahne, »getränkt mit dem Blute der ›Novemberverbrecher‹«, auf dem
Universitätsdach wehe. »Zu Roheitsexzessen kam es, als verschiedene
Damen und Herren, die den Promotionen beigewohnt hatten, über die
Haupttreppe das Universitätsgebäude verlassen wollten. Sie wurden
mit dem Rufe: ›Judengelichter‹ empfangen und unter Püffen und Stößen
die Treppe hinuntergestoßen. Jüdische und sozialistische Studenten, die
ebenfalls, dem Auftrage des Rektors gemäß, das Universitätsgebäude
verlassen wollten, wurden von den Hakenkreuzlern, die auf der Rampe
Aufstellung genommen hatten, in der heftigsten Weise mißhandelt. Der
Vorgang spielte sich gewöhnlich so ab, daß etwa zehn deutschvölkische
Studenten einen Gegner ergriffen, ohrfeigten, ihm die Kleider zerfetz-
ten und ihn dann mit Fußtritten die Rampe hinunterstießen. Mehreren
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Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anton Kuh
- Subtitle
- Biographie
- Author
- Walter Schübler
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Size
- 13.8 x 22.2 cm
- Pages
- 576
- Category
- Biographien