Page - 282 - in Anton Kuh - Biographie
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loren habe, während er den Mitbürgerinnen und Mitbürgern vorwirft,
daß sie nicht nur ihr Herz, sondern auch langsam ihr Hirn in Heidelberg
verloren hätten; Fritz Langs »Metropolis«, der als der »Faust« seiner
Zeit ausposaunt worden sei – was der aber auch recht geschehe.93 Er
gerät wieder einmal vom Hundertsten ins Tausendste, ganz nach seiner
Maxime: »Sich so in jeder Seitengasse des Themas verlieren, daß man die
Hauptstraße abschneidet –: Grundbedingung einer guten Rede.«94
Die Nazipresse ist auf den bekannten Ton gestimmt: »Herr Anton
Kuh liest Zeitung / Und führt ein Selbstgespräch, / Ja, was er spricht,
ist Speichel, / Und was er schreibt, ist Blech. // Fahr nach Berlin ab,
Anton, / Und laß doch Wien in Ruh, / Wir sagen dir zum Abschied /
Nur händeringend: ›Muh!‹«95
Anton Kuh fährt nach Berlin – und redet auch dort niemand nach
dem Mund, sondern gibt, im Gegenteil, den Advocatus diaboli. Spielt
etwa bei der von der Deutschen Liga für Menschenrechte veranstalteten
Protestversammlung »Gegen Zensur, für Geistesfreiheit!« am 25. Ja-
nuar 1929 um 8 Uhr abends im Berliner Langenbeck-Virchow-Haus in
der Luisenstraße 58-59, »mit komödiantischer Verve das Enfant terrible
der Gesellschaft, indem er ihr gehörig einige Wahrheiten sagte«.96 Er
persifliert, einen nach dem andern, seine Vorredner – darunter Peter
Martin Lampel, Herbert Ihering und Walter Hasenclever –, insbeson-
dere ersteren, der sich mit Tolstois »Ich kann nicht schweigen« und
Zolas »J’accuse« mächtig in die Brust geworfen hatte, und läßt diesen
wissen, daß seine vielumstrittene »Revolte im Erziehungshaus« kein
Kunstwerk sei; und die versammelten Anwälte der Freiheit der Kunst,
daß neun Zehntel der Dinge, deren sich die Liga annehme, nur sehr
wenig mit Kunst zu tun hätten. Daß es bei den überhandnehmenden
Störungen von Theater- und Filmaufführungen,* Gotteslästerungs-
* Erich Maria Remarques Ende Januar 1929 erschienener Roman »Im Westen
nichts Neues« (ab 10.11.1928 im »Unterhaltungsblatt« der »Vossischen
Zeitung« vorabgedruckt), der die Schrecken des Ersten Weltkriegs aus der
Sicht des an der Westfront eingesetzten jungen Kriegsfreiwilligen Paul
Bäumer ungeschminkt schildert, zählt zu den umstrittensten Büchern der
Weimarer Republik. Von der republikanischen Presse enthusiastisch be-
grüßt, entfesseln deutschvölkische Zeitungen eine Hetzkampagne sonder-
gleichen gegen den in Hunderttausenden Exemplaren verkauften Roman.
Die deutsche Erstaufführung der gleichnamigen, bei den Oscar-Verleihun-
gen u. a. als »Bester Film« ausgezeichneten Verfilmung (All Quiet on the
Western Front, US 1930) im Mozartsaal am Nollendorfplatz am 4.12.1930
wird von nationalsozialistischen Krawalltrupps unter der persönlichen
Leitung Joseph Goebbels’ massiv gestört, von der NSDAP organisierte
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Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anton Kuh
- Subtitle
- Biographie
- Author
- Walter Schübler
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Size
- 13.8 x 22.2 cm
- Pages
- 576
- Category
- Biographien