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334 »Kuhrioses« – In der Anekdote
Als »Henkel der großen Seelen, wodurch sie faßlich werden für den
Hausgebrauch«1, bezeichnete Ludwig Börne die Anekdoten, jene poin-
tierten Histörchen, die die Persönlichkeit großer Männer – großer
Frauen selbstverständlich auch – auf den Punkt bringen, mit denen sie
aufs Allzumenschliche zurechtgespöttelt werden, auf daß sie in die emo-
tionale Rumpelkammer von Otto und Ottilie Normalverbraucher pas-
sen. Ich halte es hingegen mit Wolfgang Hildesheimer: »Wo die Anek-
dote um sich greift, ist die Wahrheit schwerlich noch zu finden.«2
Anton Kuh hat
– allenfalls
– in der Anekdote überlebt, leicht faßlich,
als Klischee, unausrottbar und unrettbar: als notorischer Schnorrer, der
sich gern einladen läßt, der seine Gläubiger zum Narren hält, der von
Verlegern und Zeitungsherausgebern Vorschüsse für Essays und Glos-
sen kassiert, die er nie schreibt; als ständig stierer Bohemien, dem die
Gläubiger im Nacken sitzen und der trotzdem Maßanzüge vom besten
Schneider am Platz trägt, in den besten Restaurants speist und in den
besten Hotels logiert; als extravaganter Lebenskünstler und brillanter
Alleinunterhalter mit boshaftem, ätzendem Witz. Bezeichnend, daß sich
bei Anton Kuh sogar ein literaturwissenschaftliches Großprojekt wie die
»Geschichte der Literatur in Österreich von den Anfängen bis zur
Gegenwart« auf den überlieferten Anekdotenschatz als Quelle stützt.3
Sein antibürgerlicher Habitus und sein exaltiertes Gebaren lassen die
Anekdote um seine Person gedeihen, und er trägt sein Teil zu seiner
verzerrten Wahrnehmung als Wiener »Original« und Szenefigur bei.
Er bedient die Pumpgenie-Klischees in Dutzenden unverhohlen auto-
biographischen Geschichten und bringt einige der bekanntesten Kuh-
Anekdoten selbst in Umlauf. Als Episode eines von ihm angeregten
großangelegten Gesellschaftsromans über den steinreichen Finanz-
magnaten Sigmund Bosel, in der »Süddeutschen Sonntagspost« Ende
1926 unter dem Titel »Der Schnorrer als Krösus« lanciert4 – Kuh tritt
dort anonymisiert als »junger Wiener Bohemien« auf –, findet sich die
Anekdote, nun mit Anton Kuh als Protagonist, im November 1931
unter dem Titel »Umgang mit Mäzenen. Der Bohemien und der Geld-
komplex« im »Prager Tagblatt« wieder, ein halbes Jahr darauf unter
dem Titel »Umgang mit Wohltätern« im Wiener »Kleinen Blatt« und
1936 in der Sonntagsbeilage des »Argentinischen Tageblatts«, »Hüben
und Drüben«, unter dem schlichten Sammeltitel »Anekdoten«:
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Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anton Kuh
- Subtitle
- Biographie
- Author
- Walter Schübler
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Size
- 13.8 x 22.2 cm
- Pages
- 576
- Category
- Biographien