Page - 359 - in Anton Kuh - Biographie
Image of the Page - 359 -
Text of the Page - 359 -
359
geheimrätliche Reserviertheit, die dieser dem »Volk« gegen-
über wahrte; über das Double des Weimarer Olympiers: Ger-
hart Hauptmann; über das deutsche Volk, dem das monarchi-
sche Prinzip so sehr in Fleisch und Blut übergegangen sei, daß
es auch im Bereich der Kunst nicht anders denn monarchisch
denken könne und das hundert Jahre nach Goethes Tod geistig
wieder so unfrei sei wie damals
– und hat es in vielem, was er
vorbringt, förmlich darauf abgesehen, Widerspruch zu provozieren.9
»Wahrscheinlich gab es einige, die enttäuscht nach Hause gingen:
›Kuhisten‹«, mutmaßt Piero Rismondo. »Anton Kuh prophezeite es
kurz nach Beginn seines Vortrages. Nein, das war auch nicht der strei-
chelustige Lausbub, dessen flirrende und kitzelnd-revolutionäre Lozze-
lachs zu hören man gekommen war. Gleichwohl spielte Kuh vielleicht
den satanischesten Streich seines Lebens: er warf coram publico die
Schellenkappe weit von sich. Unverhüllt kam der Ernst zum Vorschein,
blutiger Ernst. / ›Goethe und die deutschen Wahlen‹ lautete das Thema.
Und Kuh blieb bei ihm mit einer ungewohnten Konsequenz auch im
Formalen. Der Vortrag riß ab genau in dem Augenblick, da die Sprache
hätte auf die deutschen Wahlen kommen müssen. Eine ins Furioso ge-
steigerte Pointe: denn genau in diesem Augenblick wußte man, daß Kuh
die ganze Zeit hindurch nichts anderes getan hatte, als über die deut-
schen Wahlen zu sprechen. Er hatte sie gleichsam als reflektierenden
Hintergrund aufgestellt, man nahm sie nur wahr in dem reflektierten
Licht, das von ihnen auf jedes seiner Worte fiel.«10
Ein schriftlicher Nachtrag Kuhs bestätigt Rismondos Mutmaßung.
Er sei »infolge […] Unwohlseins« nicht mehr dazu gekommen, »in
einem zweiten Teil die deutlichen Folgerungen aus [s]einem Thema
abzuleiten. (Für feinere Ohren waren sie allerdings schon im ersten Teil
eingekapselt.)« Kuh weiter: »Ein großdeutsches Blatt11, Organ der Un-
abbaubaren von der neunten Rangsklasse aufwärts, überschrieb am
nächsten Tag eine Notiz, die sich mit meinem Vortrag befaßte, mit dem
Titel: ›Schändung Goethes‹. Worin war die Schändung gelegen? Darin,
daß ich Goethes Verachtung über jene ausgemalt hatte, die mir seine
Schändung vorwerfen. / Daß das Blatt meinen Versuch des weitern mit
den Worten ›nebbich‹ und ›Chuzbe‹ quittierte, beweist mir die wunder-
bare kulturelle Wechselwirkung im Goethe-Jahr. Ich habe von ihnen
den Goethe geschenkt bekommen, sie von mir die Worte ›Chuzbe‹ und
›nebbich‹. Und wir stimmen darin sogar soweit überein, daß wir die
(36,7 Prozent), auf Ernst Thälmann 3.706.759 (10,1 Prozent) der abgegebe-
nen gültigen Stimmen. Wien,
Theater in der
Josefstadt,
13.3.1932, 12 Uhr:
Goethe und
die deutsche
Reichspräsidenten-
wahl
back to the
book Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anton Kuh
- Subtitle
- Biographie
- Author
- Walter Schübler
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Size
- 13.8 x 22.2 cm
- Pages
- 576
- Category
- Biographien