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ausgegangen wären. Der großen Dummheit, die den Verlust der Ge-
genwart zur Folge hatte, drohe die zweite Dummheit zu folgen: näm-
lich auch die Zukunft zu verlieren.«16 »Sind die Juden gescheit?« fragt
er, »und muß ihnen dieses sonst niemals abgesprochene Attribut aber-
kennen, da er überlegt, und dies wird fast schon Bekenntnis und Er-
kenntnis der eigenen Schuld: daß dieses friedsame Volk der Welt wahl-
und ziellos und ohne Sicherung eigenen Lebensraumes die Gaben seines
Geistes und seines Herzens dargeboten hat, gleich dem Vogel, der hoch
oben singt, mit seinem Jubel alles erfüllt, aber wenn es kalt und herbst-
lich und die Nahrung knapp wird, die Stätte seines friedlichen Tuns
verlassen muß – von übermächtigen Gewalten vertrieben. Dieses Ver-
säumnis lastet Kuh uns Juden an: Sorge für deine eigene Zukunft, ehe
du andere beglücken willst!«17 Und auch wenn Kuh bei dieser Gelegen-
heit leidenschaftlich gegen die Barbarei der Macht und gegen die Un-
terdrückung des freien Gewissens auftritt und er bewegt zu Mensch-
lichkeit und Freiheit aufruft, löst er »immer wieder jenes befreiende
dankerfüllte Lachen aus, das die Nebelschleier für einige Stunden zu
zerreißen vermag«18 – und bleibt das Publikum nach dem anderthalb-
stündigen Vortrag applaudierend im dichtgefüllten Saal stehen, als er-
warte es noch Zugaben.19
Kuhs Umtriebigkeit bleibt jenseits der Grenze nicht unbemerkt. Die
Abteilung IV des Reichssicherheitshauptamts führt Kuh ab 5. Septem-
ber 1936 in der »Liste der deutschfeindlich tätigen Journalisten und
Schriftsteller«.20 Mit 31. Dezember 1938 stehen seine sämtlichen Schrif-
ten auf der »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums«. Im
August 1937 – Kuh berichtet für das »Prager Tagblatt« von den Salz-
burger Festspielen
– entgeht der als »Kulturbolschewist« Angefeindete
nur knapp der Verschleppung ins »Reich«.21
Auch 1937 ist Kuh weniger denn je bereit, die Sphäre über dem Strich
von derjenigen darunter fein säuberlich zu trennen; er ist auch nun
mitnichten willens, dem »alte[n], fade[n], verlogene[n] Spruch: Man
soll Kunst nicht mit Politik verquicken!« auf den Leim zu gehen. Im
Gegenteil – Kuh über das Auftreten von »Hitlers gehätscheltem Mae-
stro« Wilhelm Furtwängler22 bei den Salzburger Festspielen: »Ich werde
hier sogleich verquicken. […] Aber die Welt, die zu Staatsräten und
Musikführern ernennt, will den Künstlern eben nicht frei bleiben –
daher es schon Politik ist, wenn ein Dortgebliebener anderwärts Musik
macht.«23 Wer, wie Furtwängler, »die barbarische Machtausübung durch
sein musisches Dabeisein« ziert, habe jedes Recht verwirkt, auf jene
»scheinheilige Harmonie« zu pochen, »die den Machthabern dann das
Recht gibt, zu sagen: Unsere Musik steht über der Politik. Denn: keinem
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Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anton Kuh
- Subtitle
- Biographie
- Author
- Walter Schübler
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Size
- 13.8 x 22.2 cm
- Pages
- 576
- Category
- Biographien