Page - 406 - in Anton Kuh - Biographie
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Gasse mit den drei nonchalant wartenden finsteren Gestalten, die ihn
ein halbes Jahr zuvor »heimholen« wollten ins »Reich«. Als ihn im
Stiegenhaus auch noch der Hausbesorger und einer der Hausdiener,
»beide stramme Hitler-Anhänger«, bestürmen, er möge das Zeit und
Kosten sparende Angebot doch nicht ausschlagen, fühlt sich Kuh in
seinem Entschluß bestätigt. Kurz darauf sitzt er im Zug nach Prag. Die
Flüchtlinge, die mit dem Nachtzug in die rettende Tschechoslowakei
aufbrechen, haben weniger Glück. Der Zug wird im Grenzort Lunden-
burg angehalten, die Fahrgäste unter dem grölenden Jubel der SA aus
den Abteilen gezerrt und nach Wien rücktransportiert. Am Abend hört
Kuh bei Freunden in Brünn Schuschniggs im Radio übertragene Ab-
schiedsrede »Gott schütze Österreich!«.
Am 10. März 1938, kurz vor dem »Anschluß«, hält Kuh einen Nach-
ruf (gerade noch) zu Lebzeiten auf die »Stadt, die von der UFA zu einer
sentimentalen Kulisse des Deutschtums degradiert wurde, einem Wein-
München mit einem bißchen Dreivierteltakt«
– Der »Rachefeldzug der
Provinzler, der diesseits wie jenseits der Grenzen, gegen die laue und
waschlappige Hauptstadt« habe damit sein folgerichtiges Ende gefun-
den. »Die ›undeutsche‹ Stadt hilft den deutschen Frieden besiegeln. Ihre
Waschlappigkeit hat wieder einmal die aristokratische Prüfung bestan-
den, lächelnd daneben zu stehen, während um ihren Kopf gewürfelt
wird.«34
Die Erfolgsaussichten einer zivilisierenden Wirkung von sechsein-
halb Millionen katholischer, friedliebender Österreicher auf den über-
kantigen norddeutsch-preußischen Charakter wurden schon in den
dreißiger Jahren eher vorsichtig eingeschätzt. Und wie es um den mil-
dernden Einfluß der »heimgeholten« Ostmärker auf den Teutonismus
des »Altreichs« bestellt sein würde; wie weit es mit dem goldenen –
ausgerechnet – Wiener Herz her war, erwies sich in den Tagen des
»Umbruchs«. Noch in der Nacht zum 12. März begann der Pogrom
gegen Juden, NS-Gegner und Vertreter des gestürzten Regimes. Minister
Pernter ist einer der ersten, die in dieser Nacht verhaftet und kurz
darauf ins KZ Dachau eingeliefert werden. »Zur ›Hetz‹ eines gaffenden
Publikums wurden Juden unter Hohn und Mißhandlungen gezwungen,
die Propaganda parolen der von Schuschnigg geplanten Volksbefragung
mit scharfer Lauge und bloßen Händen vom Straßenpflaster zu wa-
schen [auf gut wienerisch verharmlosend: »Reibpartien«]. Läden und
Gaststätten jüdischer Inhaber wurden mit antijüdischen Symbolen und
Parolen beschmiert.«35
Mit dem »Anschluß« ist denn auch Schluß mit dem Gerede von der
»österreichischen Mission«, die nun als »ungeheure Lüge und Ge-
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Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anton Kuh
- Subtitle
- Biographie
- Author
- Walter Schübler
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Size
- 13.8 x 22.2 cm
- Pages
- 576
- Category
- Biographien