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Fällen wählte man den alten Bologneser Typus
des Gelehrten hinter dem Rednerpult in freiplas-
tischer Form als Halb- bis Dreiviertelfigur (Brü-
cke, Billroth, Sickel, Stefan) und weckte dadurch
die Illusion eines ganzfigurigen Denkmals, ob-
wohl 1885 festgelegt worden war, dass ganzfigu-
rige Denkmäler im Arkadenhof für Professoren
nicht in Frage kommen. Am weitesten wagte
sich der Bildhauer Anton Hanak vor, der Emil
Zuckerkandls Porträtfigur unterhalb des Knies
abschneidet. In diesen Fällen war eine genaue-
re Charakterisierung durch Gestik und Attribu-
te möglich. Die Beschränkung auf den Kopf ist
jedoch nicht unbedingt als Abwertung zu sehen,
sondern kann im Gegenteil in der Semantik des
Klassizismus als Auszeichnung für einen geistig Schaffenden betrachtet werden. So meint noch
Schopenhauer, […] Männern von Genie. also
Dichtern. Philosophen. Künstlern, Gelehrten; als
welche eigentlich nur mit dem Kopfe der Mensch-
heit gedient haben. gebührt bloß eine Büste, die
Darstellung des Kopfes.58
Die Vorstellung, dass sich in der Physiogno-
mie und in der Schädelform die geistigen Fähig-
keiten eines Menschen abzeichnen und infolge
ablesen lassen, hatte im 18. Jahrhundert durch
die Theorien von Lavater und Gall allgemeine
Verbreitung erfahren. Sie spielten auch im spä-
ten 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle. Lebend-
und Totenmasken berühmter Zeitgenossen wur-
den abgenommen, um ihre authentischen Züge
zu bewahren. Die medizinhistorische Samm-
lung im Josephinum verwahrt zahlreiche Toten-
masken von bedeutenden Vertretern der Wiener
Medizinischen Schule. Auch Schädel wurden ge-
sammelt, inspiriert von dem Phrenologen Franz
Gall, der an deren Form Begabungen und Cha-
raktereigenschaften zu erkennen glaubte (Abb.
17).59 In Kombination mit abgenommenen
Masken dienten sie häufig als Vorlage für Büs-
tendenkmäler. Der Bildhauer Franz Klein, der
während Galls Lehrtätigkeit in Wien in dessen
Auftrag Gesichtsmasken abnahm und Schädel
abformte, schuf auf diese Art auch seine Büs-
ten.60 1826 entstand so die nüchterne Büste von
Andreas Josef von Stifft, die 1889 in den Arka-
denhof der Universität übertragen wurde (Abb.
18). Im 19. Jahrhundert wuchs aufgrund der
Darwin’schen Entwicklungslehre auch das an-
thropologische Interesse an den Schädeln. Ru-
dolf Pöch, ab 1919 ordentlicher Professor der neu
gegründeten Lehrkanzel für Anthropologie und
Ethnographie an der Universität Wien, erwarb
im Laufe seiner Forschungsreisen etwa eine um-
Abb. 17: F. Lenthe, nach Joseph Grassi, Franz Gall mit Büs-
te Haydns, Mezzotinto, Bildarchiv der Österreichischen Na-
tionalbibliothek. Der ArkADenhof im hAuptgebäuDe Der universität Wien 29
58 A. Schopenhauer an das Komitee für ein Goethe-Denkmal in Frankfurt 1837, zit. nach R. Selbmann, Dichterdenk-
mäler in Deutschland. Literaturgeschichte in Erz und Stein, Stuttgart 1988, S. 65.
59 Auch die Gehirne mancher Professoren wurden dort aufbewahrt. URL: http://www.springermedizin.at/
artikel/18575-julius-wagner-jauregg-begruender-der-fiebertherapie, abgerufen am 30. August 2016.
60 S. Krasa-Florian, Franz Klein, ein Bildhauer des Klassizismus, in: Mitteilungen der Österreichischen Galerie 14,
1970, S. 99–149.
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Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Title
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Editor
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Size
- 18.5 x 26.0 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Categories
- Geschichte Chroniken