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mäler. Denn Bedeutung und Zweck eines kul-
turellen Erzeugnisses sind weder zwingend in-
härent noch andauernd, sondern sie entstehen
in stets wiederkehrenden Prozessen des making
of meaning.2 Demnach muss für die Erforschung
eines Denkmals die ursprünglich intendierte Be-
deutung durch Quellenmaterial und durch eine rezeptionsästhetische Analyse der künstlerischen
Form wieder freigelegt werden. Für Mediziner-
denkmäler gilt gleichermaßen, was Thomas Nip-
perdey für nationale Denkmäler postuliert hat,
dass diese „im wesentlichen von etablierten Kräf-
ten“ errichtet werden.3 In Nipperdeys Sinne wa-
ren diese vor allem politischer Natur. Im aka-
demischen Kontext sind die etablierten Kräfte
vordergründig jedenfalls die Vorstände, Deka-
ne und Rektoren, die sich jeweils für die Vertre-
ter bestimmter wissenschaftlicher Schulen ein-
setzen. Allerdings war die Wiener Medizinische
Fakultät in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun-
derts in zwei politische Lager gespalten,4 daher
können auch politische Beweggründe eine Rolle
gespielt haben. Für Denkmalserrichtungen wäh-
rend des Zweiten Weltkriegs sind über die reine
Memoria hinausgehende propagandistische Zwe-
cke kaum auszuschließen. So muss für jedes der
Denkmäler hinterfragt werden: Wer sind die eta-
blierten Kräfte, die das Denkmal errichten? An
welches Publikum wenden sie sich und mit wel-
cher Botschaft?
In den Standardwerken der Porträtforschung
gelten vor allem die zeitgenössische Porträtpra-
xis, der soziale Kontext des dargestellten Wis-
senschaftlers und der Aufstellungskontext als
grundlegend für die ikonologische oder rezep-
tionsästhetische Beurteilung der Denkmäler.5 In
der rezeptions- und funktionsorientierten Un-
tersuchung der Billroth-Denkmäler spannt sich
die Analyse zwischen der Biografie des Darge-
stellten, der zeitgenössischen Porträtkultur und
der beauftragenden Institution.
Medicus in effigie 105
2 M. E. Fissell, Making Meaning from the Margins. The New Cultural History of Medicine, in: Locating Medical
History. The Stories and Their Meanings (hrsg. von F. Huisman/J. H. Warner), Baltimore/London 2004, S. 365.
3 Th. Nipperdey, Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland, in: Historische Zeitschrift, Bd. 206 H. 3 (Juni
1968), S. 531.
4 T. Buklijas, Surgery and national identity in late nineteenth-century Vienna, in: Studies in History and Philosophy
of Biological and Biomedical Sciences, 38 (2007), S. 769.
5 L. Jordanova, Defining Features. Scientific and Medical Portraits 1660–2000, London 2000, S. 25–26; R. Kanz,
Dichter und Denker im Porträt. Spurengänge zur deutschen Porträtkultur des 18. Jahrhunderts, München 1993,
S. 12.
Abb. 3: Michael Drobil, Denkmalstatue für Theodor Bill-
roth, 1944/49, Hof 1 des ehemaligen Allgemeinen Kranken-
hauses, heute Campus der Universität Wien.
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Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Title
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Editor
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Size
- 18.5 x 26.0 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Categories
- Geschichte Chroniken