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tionen entwickelt und 1868 in Wien seine ers-
te subkutane Osteotomie einer schief geheilten
Unterschenkelfraktur durchgeführt.27 Aber nicht
nur das Motiv der Zeichnung, sondern auch de-
ren Gestaltung ist ungewöhnlich. Üblicherweise
wird etwas Gezeichnetes in der plastischen Dar-
stellung durch Einritzen dargestellt, wie beispiel-
weise bei plastisch dargestellten Grundrissen.28
Der Bildhauer Zumbusch arbeitete stattdessen
das Motiv in dem Bildvehikel des marmornen
Blatts Papier als Hochrelief heraus.29 Auf die Er-
kennbarkeit des Bildobjekts, des Knochens, hat
dieser bildtheoretische Kniff keine Auswirkung.
Dennoch referiert die Differenz in der bildge-
benden Ausarbeitung der marmornen Zeich-
nung, nämlich Hochrelief statt Ritzung, auf ei-
ne tiefere Aussage des Denkmals.
Im Jahr 1870 veröffentlichte Billroth einen
Artikel über die Praxis der Osteotomie, wobei
er auf seinen Berliner Lehrer Bernhard von Lan-
genbeck verwies, der ihm zufolge mit der Stich-
säge hier besonders geschickt gewesen sei.30 Da
Billroth eingestehen musste, dass er es selbst „nie
zu der Fertigkeit in Anwendung der Stichsäge“
bringen konnte, stellte er das für ihn viel geeig-
netere chirurgische Werkzeug vor, nämlich den
Meißel. So schrieb er, dass er in zahlreichen Ope-
rationen ohne Säge und Bohrer allein mit dem
Meißel auskam und die Heilungserfolge noch
dazu – aufgrund des verwendeten Werkzeugs –
überdurchschnittlich gut seien. Allerdings stell-
te er fest, dass die gebräuchlichen chirurgischen
Meißel nicht annähernd so geeignet waren wie
diejenigen, die er schließlich für seine Osteoto-
mien verwendete: die Bildhauermeißel.
Ich liess mir von einem Bildhauer eine Adresse
für gute englische Meissel hier in Wien geben; für neun Gulden bekam ich ein ganzes Paket voll Meis-
sel aller Arten, von denen ich mir die brauchbars-
ten Formen auswählte, und sie mit einem dicken
Holzstiehl versehen liess; ein tüchtiger Holzklöppel,
wie ihn die Bildhauer führen, gehört auch zu die-
sem Zweige der plastischen Kunst.31
Bedeutsam ist, dass Billroth seine knochenchi-
rurgischen Fertigkeiten an dieser Stelle bewusst
denen von Bildhauern gleichsetzt. Durch gezielt
gesetzte Kerben und Schnitte mit seinen verschie-
denen Bildhauermeißeln gelingt es dem Chirur-
genkünstler, die verkrümmten Beine seiner Pati-
enten neu zu formen. Durch diese Semantik der
künstlerischen Fertigkeiten setzt sich Billroth
von den Medizinerhandwerkern ab und betont
seine Genialität. Die plastische Herausbildung
der Zeichnung im Marmor als Bildvehikel macht
deutlich, wie fein sich mit den Methoden und
Werkzeugen der Bildhauerei das harte Material
bearbeiten lässt, und versinnbildlicht wiederum
die Parallelität zu Billroths Bearbeitung der Kno-
chen. Wenn der Bildhauer Zumbusch also in sei-
nem Werk auf Billroths Knochenoperationen an-
spielt, so ist dies nur vordergründig ein Hinweis
auf den medizinischen Inhalt und viel mehr ei-
ne bildtheoretische Ehrerbietung gegenüber dem
Künstlerkollegen in diesem Zweige der plastischen
Künste, mit dem er bei dessen zahlreichen Besu-
chen im Atelier sicherlich auch über die Vorzü-
ge des Bildhauermeißels in ihren beiden Professi-
onen, zum einen der Bildhauer und zum anderen
der Mediziner, zu sprechen kam. Ein detailreiches
Epitaph in Marmor von einem der angesehensten
Bildhauer Wiens erscheint daher als die optimale
Form der Ehrung für den verstorbenen Professor.
In diesem Sinne ist es Zumbusch mit dem
Arkadenhof-Monument gelungen, diejenigen
julia
rüdiger112
27 Th. Billroth, Ueber die Verwendung vom Bildhauermeissel bei Osteotomien, in: Wiener Medizinische Wochen-
schrift, Nr. 18 (12. März 1870), Sp. 281.
28 Vgl. beispielsweise das Ludwig-Denkmal von Max Widnmann und Ludwig Schwanthaler, München 1862: Grund-
riss in der Hand der Personifikation der Baukunst.
29 Zur bildtheoretischen Terminologie: W. Pichler/R. Ubl, Bildtheorie zur Einführung, Hamburg 2014, S. 20–42.
30 Billroth, Osteotomien, Sp. 282.
31 Billroth, Osteotomien, Sp. 284.
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Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Title
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Editor
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Size
- 18.5 x 26.0 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Categories
- Geschichte Chroniken