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Kauf eines originalen Werkes, Venus und Ado-
nis, für seine Bibliothek. Diese sinnliche Grup-
pe steht in einem merkwürdigen Kontrast zu
den ernsthaften Büsten der griechischen Philo-
sophen und zu Favres Charakterstrenge (Abb. 6
und 8).26 Das Ensemble der Bibliothek ist jedoch
eines der schönsten Beispiele des Neoklassizis- mus in Genf: Es zeigt einerseits den zunehmen-
den Luxus der Patrizierhäuser zu Beginn des 19.
Jahrhundert und andererseits ihren Willen, dem
Modell einer künstlerischen Exzellenz zu folgen
und sich damit in einer kosmopolitischen Ge-
sellschaft zu positionieren.
genfer kosmopolitismus
Für eine kleine Stadt, die ein winziges Gebiet
umfasst und die von den enormen Mauern er-
drückt wird – die Oberfläche der Festungsmau-
ern ist größer als die Oberfläche der Stadt selbst
–, ist die Pflege internationaler Beziehungen le-
benswichtig (Abb. 9).27
1. Das wichtigste Netzwerk war natürlich das
finanzielle. Die Genfer Bankiers, die meistens
aus toskanischen und südfranzösischen Flücht-
lingsfamilien kamen, verfügten über Niederlas-
sungen in Paris, London und später Berlin und
St. Petersburg.28
2. Ein weiteres Netz betrifft direkt unser
Thema. Es ist das wissenschaftliche, das sich im
18. Jahrhundert verstärkte, aber schon mit Cal-
vin, der Kontakte mit Intellektuellen aus ganz
Europa pflegte, entwickelte. Die Genfer Elite in-
vestierte massiv in die Naturwissenschaften (Bo-
tanik, Physik, Chemie, Mineralogie usw.) und erlangte dadurch großen Ruhm in den europä-
ischen intellektuellen Kreisen.29 Dabei wurde
das akademische Umfeld vom Genfer Patriziat
monopolisiert. Die Elite sah ihre eigenen mo-
ralischen Werte in denen der Wissenschaft ge-
spiegelt: der Suche nach der Wahrheit (mit reli-
giösen Nuancen) und der Pflicht, diese Wahrheit
zu übermitteln.30
3. Das dritte Netzwerk betrifft die Künste.
Dieses erweiterte sich stark in den Jahren der
Restauration (1815–1846). Dabei ist der Erwerb
der Canova-Statue durch Guillaume Favre ein
Meisterstück, gelang es hier doch sogar, Zar Ni-
kolaus II., der ebenfalls an der Skulptur interes-
siert war, zu übertrumpfen.31 Hinzuzufügen ist,
dass die strengen Formen des Neoklassizismus
den calvinistischen Werten entsprachen und sein
Antikenkult die Vorliebe für Skulptur förderte.
das erste scholar’s monument
Im Jahr 1817 begann Augustin Pyrame de Can-
dolle (1778–1841) damit, in der Promenade des
Bastions einen botanischen Garten anzulegen. In diesem ließ er eine Orangerie errichten und
dort sechs Büsten von Genfer Naturwissen-
schaftlern aufstellen (Abb. 1)32. Von links nach
grégoire
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26 Guillaume Favre folgte einer Ausbildung in Geologie wie de Saussure, aber interessierte sich später für zahlreiche
und komplexe Forschungsthemen wie: die Literatur der Goten, der Traktat De re militari von Robertus Valturius,
die Drückerei in Genf vor der Reformation, die punischen Inschriften usw.
27 Natale, Le goût et les collections (zit. Anm. 1), S. 1–3.
28 H. Lüthy, La banque protestante en France, de la Révocation de l’Edit de Nantes à la Révolution, I, Paris 1959, S.
39–48.
29 Montandon, Le développement de la science (zit. Anm. 4), S. 68–70.
30 Ebenda, S. 70–77.
31 J. Adert, Notices sur la vie et les écrits de Guillaume Favre, Genève 1856, S. 34–36.
Open Access © 2018 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
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Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Title
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Editor
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Size
- 18.5 x 26.0 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Categories
- Geschichte Chroniken