Page - 352 - in Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
Image of the Page - 352 -
Text of the Page - 352 -
Im 20. Jahrhundert wurden öffentliche
Denkmäler in den slowenischen Ländern ins-
gesamt dreimal grundlegend geändert, beseitigt
oder sogar vernichtet. Entscheidende Wende-
punkte stellen 1. der Zerfall Österreich-Ungarns
im Jahr 1918 mit der Entfernung der Habsbur-
germonumente und der Inszenierung der serbi-
schen Dynastie dar, 2. die Okkupation im Jahr
1941 mit der Beseitigung der königlichen Fami-
lie Karadjordjević aus dem öffentlichen Raum
und 3. das Ende des Zweiten Weltkrieges mit der
Realisierung tausender Denkmäler zum Sieg der
Befreiungsfront und der Partisanen, der Statuen
von Marschall Tito (1892–1980) und von an-
deren kommunistischen Revolutionären bzw.
Trägern der neuen politischen Macht.4 Alle Ver-
änderungen der „monumentalen Landschaft“,
die jeweils mit dem Regimewechsel korrespon-
dieren, indizieren, dass die staatlich festgelegte
Erinnerungskultur in den Denkmälern eindeu-
tig bestimmt und aus ihnen ablesbar wird.
Der Zerfall Jugoslawiens im Jahr 1991 brach-
te im Vergleich zum Ostblockende im Jahr 1989
keine eindeutige Umformung der visuellen Nar-
rative und Gedächtnispolitik des Landes. Ledig-
lich die Statuen von Tito wurden entfernt, die
Denkmäler von Boris Kidrič (1912–1953) und
Edvard Kardelj (1910–1979) als den slowenischen
Hauptvertretern des kommunistischen Regimes sind hingegen noch immer Teil der monumen-
talen Propaganda des politischen Stadtteils von
Laibach (slow. Ljubljana). Die Unabhängig-
keit Sloweniens brachte auf Denkmalebene kei-
ne evidente Trennung (oder bewusste Distan-
zierung und fundierte Aufarbeitung) von einem
politischen System, in dem nach dem Zweiten
Weltkrieg die kommunistischen Sieger Massen-
morde begingen.5 In der kritischen Auseinander-
setzung mit der Denkmal- und Erinnerungskul-
tur stellte die Universitätsebene – wie aus dem
folgenden Text klar wird – hier wenigstens teil-
weise eine Ausnahme dar.6
Die slowenischen Länder entwickelten ih-
re nationale Identität in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts – als in diesem Zusammen-
hang auch die ersten slowenischen öffentlichen
Denkmäler errichtet wurden – und am Beginn
des 20. Jahrhunderts historisch mittels Skulptu-
ren von Dichtern und Wissenschaftlern, wobei
die Trennung zwischen den Vertretern beider
Gruppen, die als nationale kulturelle Elite zu
verstehen sind, nicht ganz eindeutig ist. Bisher
wurden die slowenischen öffentlichen Denk-
mäler noch nicht hinsichtlich ihrer spezifischen
wissenschaftlichen und universitären Ikonogra-
fie untersucht. Während der Erforschung zeig-
te sich, dass eine hohe Zahl individueller Denk-
mäler und ganzer Denkmalalleen kaum bekannt
barbara
murovec352
4 Die in Stein bzw. Bronze gehauene Monumentalisierung des Kultes lebender Personen war allein für Tito reserviert;
alle anderen Politiker bekamen ein Denkmal mit ihrem Porträt erst nach dem Tod. Boris Kidrič, der früh starb,
schon ab den 1950er-Jahren, Edvard Kardelj erst nach 1979. In den 1990er-Jahren wurden nur die Monumente Titos
beseitigt – als Akt der Trennung von Jugoslawien, nicht aber von dem politischen System; vgl. B. Murovec, The
Statue of the Communist Revolutionary Boris Kidrič (1912–1953). Art, Ideology and Ethics in Public Space, in: Acta
historiae artis Slovenica, XVIII/2 (= Visualizing Memory and Making History. Public Monuments in Former Yugos-
lav Space in the Twentieth Century), 2013, S. 149.
5 Vgl. z. B. P. Vodopivec, Von den Anfängen des nationalen Erwachens bis zum Beitritt in die Europäische Union,
in: P. Štih/V. Simoniti/P. Vodopivec, Slowenische Geschichte. Gesellschaft – Politik – Kultur, Graz 2008, S. 384–
397 (Kapitel: Der Triumph der Sieger).
6 Slowenien präsentierte sich im europäischen Raum, wie das Referat des Repräsentanten des Kultusministeriums be-
legt, als das Land, das keine Denkmäler zerstört (vgl. G. Zupan, Les monuments et l’espace public Slovene de 1945 à
1991, in: Bildersturm in Osteuropa. Die Denkmäler der kommunistischen Ära im Umbruch. Eine Tagung des Deut-
schen Nationalkomitees von Icomos, des Instituts für Auslandsbeziehungen und der Senatsverwaltung Berlin in der
Botschaft der Russischen Föderation in Berlin, 18.–20. Februar 1993 (hrsg. von F. Fiedler/M. Petzet), München
1994 (ICOMOS-journals of the German National Committee, 13), S. 54–55).
Open Access © 2018 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
back to the
book Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa"
Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Title
- Der Arkadenhof der Universität Wien und die Tradition der Gelehrtenmemoria in Europa
- Editor
- Ingeborg Schemper-Sparholz
- Martin Engel
- Andrea Mayr
- Julia Rüdiger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- WIEN · KÖLN · WEIMAR
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20147-2
- Size
- 18.5 x 26.0 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Scholars‘ monument, portrait sculpture, pantheon, hall of honour, university, Denkmal, Ehrenhalle, Memoria, Gelehrtenmemoria, Pantheon, Epitaph, Gelehrtenporträt, Büste, Historismus, Universität
- Categories
- Geschichte Chroniken