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Wien,BudapestundNewYorkum1900 41
eleganterSchuhe,anApothekenmitPerückenundPuderquastenundanPar-
fümerienvorbei,bissicheinemschließlicheingrünerWalderöffnete.Hierwar
manimbuntenHerzenderStadt,demStadtwäldchen,Városliget, angelangt.
DasBudapester Stadtwäldchen (einVolksbelustigungsort ähnlichdemWienerPrater).
Frühlingsnachmittag. […] reges Leben. Soldaten,Dienstmädchen,Wachleute. Buden-
ausruferhaltenpathetischeAnsprachenandasPublikum.Drehorgelnerzeugeneinelär-
mendeMusik;GlockensignalederRingelspiele,GelächterundGeschrei. […]Unddann
siehtmanviele insRingelspielderFrauMuskateintreten.Rufe: ‚NocheinSchaukelpferd
ist frei!‘ ‚WervondenDamen‘ etc. etc. ‚NocheinPlatz aufdemHirschen!‘ ‚Erwachsene
zehnHeller,Kinder fünf, Soldaten,vomFeldwebel abwärts,dieHälfte!‘Eswirddunkel,
Lampenwerdenangezündet.ManhörtdenPfiffeiner fernenEisenbahn[vomvonGus-
tavEiffelgeplantenunweitgelegenenNyugatiPályaudvar].25
Sopräsentierteder szenischeAnfangdes imDezember1909 imBudapester
VígszínházTheateruraufgeführtenStückesLilliomvonFerencMolnár26das
Stadtwäldchen.FerencMolnárkamam12. Januar1878alsFerencNeumann,
Sohneines jüdischenPhysikers, inBudapest aufdieWelt.Erbegann, Jus in
Budapest undGenf zu studieren, schlug jedoch sehr balddenKarriereweg
als JournalistundSchriftstellerein. InderSzene junger internationalerLite-
rat*innen,die indenBudapesterCafésundVarietésverkehrten,gelangesauch
Molnár,denkünstlerischenInternationalismusderZeitzu inhalierenundin
sein literarischesWerkaufzunehmen. InLiliomverbandMolnárdreiwichtige
VersatzstückederDiskurseüberdieStadtum1900:NämlichdieBedeutungder
„Volksbelustigungsorte“,die indenbaulichenUmgestaltungenindenbeiden
letzten Jahrzehntendas Stadtbildwesentlich zuprägenbegannen.Zweitens
wirftMolnárauf,dassdieseOrtedesAmüsementsähnlich jenenWiensund
denWienerEntwicklungenwaren.SchließlichverflochtMolnármitdemThe-
maimplizitdieVerankerungBudapests inZentraleuropamitBahnhöfen in
allenHimmelsrichtungen,dieVerbindungspunktezuallenStädtenEuropas
undAsiens,unddamitderganzenWelt,waren.
DersogenanntenModerne,dieüberbaulicheNeuerungenausgedrücktwer-
den sollte, begegnetedieStadtoffen: Siehatte als erste einöffentlichesTele-
fonnetzundüberhauptdasersteU-Bahn-NetzameuropäischenFestland.27
AlsStadt,diebis1867 immernur„StadtundnichtHauptstadt“gewesensei,
habeBudapest (imGegensatz zuWien) die baulichenVeränderungenund
25 FerencMolnár,Liliom:VorstadtlegendeinsiebenBildernundeinemszenischenProlog(Wien,
Leipzig:Deutsch-österreichischerVerlag,1912),7–8. [HervorhebungenimOriginal]
26 IstvánVárkonyi,FerencMolnárandtheAustro-Hungarian„Findesiècle“ (NewYork:Peter
Lang,1992),24–25und107–110.
27 PeterCsendes,AndrásSipos,BudapestundWien:TechnischerFortschrittundurbanerAuf-
schwungim19. Jahrhundert (Budapest,Wien:FranzDeuticke,2003).
© 2021 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien
https://doi.org/10.7767/9783205211884 | CC BY 4.0
Auf die Tour!
Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
Zwischen Habsburgermonarchie und Amerika
- Title
- Auf die Tour!
- Subtitle
- Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
- Author
- Susanne Korbel
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21188-4
- Size
- 15.9 x 24.0 cm
- Pages
- 272
- Category
- Kunst und Kultur