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MobilitätundpopuläreKultur 137
mittags imEtablissement Somossy statt. Fast sämtliche österreichisch-ungarische und
vieleausländischeArtistenvereinehattenVertreterentsendet, […].92
EinweiteresBeispiel fürdie trotzAbspaltungweiterbestehendeengeZusam-
menarbeitzwischendenWienerundBudapesterSektionenwardieimOktober
1900 inWienstattfindendeFahnenweihedesWienerZwölferbundes.DerZwöl-
ferbundwareinweitererhumanitärerArtistenverein,der inden letztenJahren
des19.
JahrhundertsgegründetwordenwarunddessenMitgliedersichviel-
fachaus jenendesLustigenRitters rekrutierten.DerZwölferbundhatte aber
einenanderenSchwerpunkt.ErwarbesondersumdieVersorgungvonKin-
dernbemüht.93LouisTaufstein(1870–1942),derbekannteLiedvorträgerder
BudapesterOrpheumgesellschaft,wareinüberausaktivesMitgliedbeiderVer-
einigungenundkorrespondierte regemitdenMitgliedern inBudapest.94Die
InszenierungderWienerVereinsfeier fandinähnlicherManierstattwiedieje-
nigeeinhalbes Jahrzuvor inBudapest. IneinemBericht fürdie Internationale
ArtistenRevuehobLouisTaufsteinbesondersdieBeteiligungdesantisemiti-
schenWienerBürgermeistersKarlLuegerhervor: „DerersteNagelwurdevon
BürgermeisterDr. Lueger indenFahnenschafteingeschlagen […].“95Trotz
LuegersTeilnahmeanderEhrenfeierdesvonprominenten jüdischenSzene-
mitgliedern initiiertenVereinsblieben,wiedieBerichterstattunghervorhob,
jeglicheantisemitischeAusfälligkeitaus.
Die einstimmigeUnterstützung undKooperation drohten 1901 beinahe
unterbrochenzuwerden. ImDezemberkamesvonSeitenderungarischen
BehördenzueinemAufführungsverbot füreineWienerVolkssängergruppe.
Daraufhinbildete sich inWienrasant eine Interessensgruppe rundumden
KonzessionärAlbertHirsch
(1841–1927), die ebenso für dieWiener Spiel-
stätten „SchutzdenEinheimischen“ forderte. Es kamzueiner vermeintlich
nationalmotiviertenKonkurrenzzwischendenEtablissementkünstler*innen
ausBudapestundWien.Allerdingszeigtesichschnell,dassdieser„nationale
Konflikt“nichtunterdenKünstler*innenbestand, sonderneinpolitischerAkt
derBudapesterVerwaltungsbehördewar,der–trotzderWeihnachtsfeiertage–
schoninnerhalbdernächstendreiTageaufgrundderheftigenInterventionder
BudapesterVarietékünstler*innenzurückgenommenwerdenmusste.Nach-
demdasGerüchtumging,dieFoliesCapricewürdeneineExpositur inWien
errichten,botsichAlbertHirschalsderenpotentiellerLeiteran.Zuvorhatte
92 PL,21.5.1900,2.
93 IAR,1.8.1899,2.
94 IAR,20.10.1900,1–2.
95 IAR,20.10.1900,1.ZurrituellenPraktikderFahnenweihesieheHödl,ZwischenWienerlied
undDerkleineKohn,45.
© 2021 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien
https://doi.org/10.7767/9783205211884 | CC BY 4.0
Auf die Tour!
Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
Zwischen Habsburgermonarchie und Amerika
- Title
- Auf die Tour!
- Subtitle
- Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
- Author
- Susanne Korbel
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21188-4
- Size
- 15.9 x 24.0 cm
- Pages
- 272
- Category
- Kunst und Kultur