Page - 149 - in Auf die Tour! - Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
Image of the Page - 149 -
Text of the Page - 149 -
MännlicheDamen,weiblicheMänner 149
EhebruchüberMendelsohnundKomp. bisAufderAlmdagibt’skaSünd’ reich-
ten.130
Das Stück Das letzte Leintuch handelte von der Affäre des Wäsche-
KonfektionärsEmilHerzogmitderBaroninClairePichou.Herzog,der ein
Geschäftbesitztundverheiratet ist, stolpertvöllig irritiertvondenamourösen
Gefühlen,die er fürdieBaroninhegt, seitdiese zumerstenMal inHerzogs
Geschäftgekommenist,durchdasLeben.MitzwölfPersonenwardasStück
relativüppigbesetzt,wobeibeidenkürzerenAuftrittenderkleinerenRollen
in einzelnen Szenendurchaus einePersonmehrere hätte besetzen können.
JedenfallsbestandesausdreiHauptrollen,diezweiGesangshumoristenund
eineVolkssängerinrespektiveSoubretteübernahmen.DieHauptfigurHerzog
schläftmorgensbiszehnUhr–weshalbdieAufräumerinWuchterlanmerkt,
„so faulkannaberauchnura Judsein“.AufAnweisungderBaroninhinsoll
er„Französisch“ lernen,wobeier sichüberlegt,Französischseieigentlichwie
„Jüdisch“[!]undsichsodannsorgt,nichtgar„Jüdisch“anstattFranzösischzu
lernen.UndermöchteunbedingteinenKammerdienereinstellen,derseinen
Standhebt, ihn ineinen„Aristokraten“verwandelt, seinBenehmenaufpoliert
undmit ihm„Französisch“übt;denn,wieHerzogmeint, alleKammerdiener
sprächenFranzösisch.InderSchlussszeneanimiertderKammerdienerHerzog,
die Baronin nicht länger warten zu lassen und feuert ihn euphorisch zur
Eroberungan.Mit derFeststellung „ichbindochmeschugge“ gehtHerzog
schließlichzu ihr.AlsUnterstützungbitteterdenKammerdiener, ihmaufder
ViolinedenRákóczi-Marschzuspielen.131
Diese„FüllevonSituationskomikund[aufgestapeltem]Wortwitz“132und
dasTalent,dessenesbedurfte, jedePointegekonntzuservieren,waren,wie
derzuvorausdemVergnügungsanzeigerzitiertenKritikentnommenwerden
kann,GrundlageeinesPublikumserfolgs.Dazubedurfteeseinesgekonnten
Spagats zwischenvermeintlichenGenregrenzenundgutemGeschmack so-
wieder idealenErgänzungenalterUnterhaltungstraditionenmitNeuemund
Populärem.All jenenHumoristen,diedasbewiesen,wardieVerehrungdes
130 Glinger,Taussig,VersicherunggegenEhebruch.NÖLA,NÖReg.Präs.TheaterTB–Textbü-
cherderTheaterzensur127/2.Glinger,Taussig,MendelsohnundKomp.NÖLA,NÖReg.
Präs.TheaterTB–Textbücher derTheaterzensur 611/18.DerOriginaltitel, der vonder
Zensurbehördenichtzugelassenwurde, lauteteDerzuckersüßeOppenheim.SowieGlinger,
Taussig,AufdaAlmdagibt’skaSünd’.NÖLA,NÖReg.Präs.TheaterTB–Textbücherder
Theaterzensur98/37.
131 NebendenmehroderwenigerexplizitenArtikulationenjüdischerVersatzstückereferiertdie
SchlussszeneaufdasBilddesYidlmitderFidl,dasmiteinemungarischenNationalstereotyp
überlagertwird.Glinger,Taussig,Das letzteLeintuch,8f,11.NÖLA,NÖReg.Präs.Theater
TB–TextbücherderTheaterzensur127/8.
132 Fremdenblatt,5.4.1913,16.
© 2021 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien
https://doi.org/10.7767/9783205211884 | CC BY 4.0
Auf die Tour!
Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
Zwischen Habsburgermonarchie und Amerika
- Title
- Auf die Tour!
- Subtitle
- Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
- Author
- Susanne Korbel
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21188-4
- Size
- 15.9 x 24.0 cm
- Pages
- 272
- Category
- Kunst und Kultur