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433.2
FrĂĽhe Flugzeug- und Radiotechniken legen die Grundlagen
Der folgende Beitrag zeichnet einige der zentralen Elemente der fast hundertjährigen
Bild- und Technikgeschichte des fahrerlosen Automobils aus einer kulturwissen-
schaftlichen Perspektive nach (vgl. auch [18]). Im Zentrum des Interesses steht dabei
das Verhältnis von technischen und bildlichen Entwürfen, von industriellen Forschungs-
projekten und kulturellen Imaginationen. Es wird gezeigt, wie sich die Logik des automa-
tischen Automobils als fantastisches Objekt zwischen Wunderbarem und Unheimlichem
entfaltet.1
3.2 FrĂĽhe Flugzeug- und Radiotechniken legen die Grundlagen
Die Geschichte des fahrerlosen Automobils beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts in den
USA. Zu dieser Zeit wurde der starke Anstieg tödlicher Verkehrsunfälle zu einem immer
größeren gesellschaftlichen Problem. Die Massenmotorisierung hatte in den USA schon in
den 1920er-Jahren begonnen – drei Jahrzehnte früher als in Europa. Allein in den ersten
vier Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wurden mehr US-Amerikaner bei Autounfällen
getötet, als zuvor in Frankreich gefallen waren ([27], S. 25). Insgesamt führte der moto-
risierte StraĂźenverkehr in den 1920er-Jahren zum Unfalltod von etwa 200.000 US-BĂĽrgern,
die weitaus größte Zahl davon waren Fußgänger ([27], S. 21).
Das Fehlverhalten der Autofahrer wurde als Hauptunfallursache ausgemacht. Dass
Infra struktur und Fahrzeugkonstruktion ebenfalls entscheidende Faktoren der Unfallaus-
prägung und -schwere sind, wurde erst wenig in Rechnung gestellt. Die Idee einer maschi-
nellen Substitution menschlicher Fehleranfälligkeiten drängte sich also geradezu auf.
Zu den materiellen Bedingungen, die ein unfallfreies, sich selbst steuerndes Automobil
überhaupt erst denkbar machten, gehörten zwei neue technische Entwicklungen aus dem
Bereich der Luftfahrt und der Radiotechnik:
Als Erstes stellte Lawrence B. Sperry (1892–1923) im französischen Bezons nahe Paris
im Juni 1914 den ersten gyroskopischen Airplane Stabilizer fĂĽr Flugzeuge vor, der heute
als erster Autopilot gilt. Vor den Augen staunender Zuschauer stieg sein Mechaniker wäh-
rend des Fluges auf den rechten Flügel, während Sperry im Cockpit aufstand und seine
Hände über den Kopf hob. Das System basierte auf dem Gyrokompass, den sein Vater
Elmer A. Sperry (1860–1930) erfunden hatte ([6], S. 183). Es balancierte das Flugzeug
automatisch aus, nahm dem Piloten allerdings noch nicht völlig das Steuern ab. John Hays
Hammond (1888–1965) stellte etwa zur gleichen Zeit ein System zur automatischen Kurs-
stabilisierung vor. Die Erfindungen von Sperry und Hammond bereiteten der Kommerzia-
lisierung des Autopiloten den Weg ([7], S. 1253 ff.; [13], S. 1258 ff.).
Zweitens stellte der Beginn der Radiotechnik eine der technischen Voraussetzungen dar,
um ein selbst steuerndes Automobil realisieren zu können. Die neue Wissenschaft der
Radioguidance befasste sich mit der Fernsteuerung beweglicher Mechanismen mittels
1 Die Bezeichnungen selbst steuerndes, automatisches und autonomes Fahrzeug werden hier
synonym verwendet.
Autonomes Fahren
Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte
Gefördert durch die Daimler und Benz Stiftung