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Das automatisierte Fahren im
Kontext46
Werner Illing beschreibt in seiner frĂĽhen Automatisierungsutopie Utopolis (1930) das
Wunderbare der „geheimnisvoll von selbst lenkenden Autos“ ([16], S. 37). Wir werden in
eine Gesellschaft versetzt, in welcher „der Maschinen-Automat das Werk der Hand“ ([16],
S. 19) ersetzt hat – und somit auch das Steuerhandwerk. „Das Wunderbarste [sic!] daran
war, daß der Wagen ... sich so benahm, als hätte er sämtliche nur denkbaren Verkehrsvor-
schriften auswendig gelernt.“ ([16], S. 38). Wie bei Lynchs Safety-Shows in den USA be-
steht der besondere Reiz des fahrerlosen Autos auch hier im Einhalten sozialer Normen.
Auch die technische Seite dieser literarischen Utopie wird erklärt. Jeder Wagen habe
vorne ein kleines Prismenauge, das mit „unauffällig in die Hauswände eingelassen(en)“
Ampeln kommuniziere. „Durch wechselnde Spiegelreflexe regulieren diese mechanischen
Augen Geschwindigkeiten und Lenkung.“ [16] Auch ein Navigationssystem gibt es, das an
heutige GPS-Geräte erinnert:
An Stelle des Lenkrads fand ich eine Metallplatte, in die sehr fein und deutlich der Stadtplan
eingeätzt war. Darüber einen nagelscharfen Zeiger. Kaum hatte ich diesen ein wenig ver-
schoben, fuhr der Wagen an und jagte durch StraĂźen, die ich noch nicht kannte. ([16], S. 38)
Auf die Beschreibung des Wunderbaren selbst lenkender Automobile folgt die literarische
AusschmĂĽckung seines unheimlichen Potenzials. Der US-amerikanische Science Fiction-
Autor David H. Keller beschreibt in seiner Kurzgeschichte The Living Machine (1935) die
Erfindung eines selbstfahrenden Autos, das mit Sprachbefehlen navigiert werden kann
[17]. Zunächst werden die Vorteile genannt. Die „lebendige Maschine“ habe zur Senkung
der Unfallzahlen beigetragen und das Auto neuen Nutzerschichten geöffnet ([17], S. 1467):
Alte Menschen begannen, den Kontinent in ihren eigenen Autos zu ĂĽberqueren. Junge Leute
nutzten das fahrerlose Auto zum Petting. Blinde befanden sich zum ersten Mal in Sicherheit.
Eltern konnten ihre Kinder in dem neuen Auto sicherer zur Schule schicken, als in den alten
Autos mit Chauffeur.“ ([17], S. 1470, Übers. d. A.)
Die Geschichte schlägt um, als ein Mechaniker bemerkt, dass die Autos lebendig geworden
sind. „Autos, außer Kontrolle, rasten die öffentlichen Straßen entlang, jagten Fußgänger,
töteten kleine Kinder, überfuhren Zäune.“ ([17], S. 1473, Übers. d. A.) Dieses imaginäre
Phantasma des Kontrollverlusts ĂĽber die fahrerlosen Maschinen wird sich als dominantes
Muster durch das 20. Jahrhundert ziehen.
3.5 Erst ein fahrerloses Auto ist ein sicheres Auto
Seinen ersten filmischen Auftritt hat das fahrerlose Automobil im US-amerikanischen
Verkehrserziehungsfilm The Safest Place (1935). Der von General Motors (GM) in Auftrag
gegebene und von Jam Handy (1886–1983) produzierte Kurzfilm zeigt ein Auto ohne
Fahrer, das mustergültig die Verkehrsordnung einhält. Dieses Fahrzeug bleibt immer in der
Autonomes Fahren
Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte
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