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Gesellschaftliche Risikokonstellation für autonomes Fahren – Analyse,
Einordnung678
Wissenschaftler und Wirtschaftsvertreter haben nicht bestritten, dass es Wissensdefizite
über mögliche Risiken gibt und dass Risiken so lange nicht ausgeschlossen werden können,
bis die Toxikologie weiter vorangeschritten ist. Auf diese Weise wurde Vertrauen geschaf-
fen. Man könnte es paradox formulieren: Weil auf allen Seiten offen über Nichtwissen und
mögliche Risiken diskutiert wurde und wird, blieb die Debatte konstruktiv. Das weitgehen-
de Nichtwissen über mögliche Risiken wurde als Forschungsaufgabe akzeptiert, statt zu
fordern, Produkte mit Nanomaterialien nicht in den Markt zu bringen. Statt sich auf die
absolute Vermeidung von Risiken zu kaprizieren (Nullrisiko), wurde Vertrauen für einen
verantwortlichen Umgang mit möglichen Risiken geschaffen.
30.4.2 Schlussfolgerungen für das autonome Fahren
Das autonome Fahren wird eine lebensweltnahe Technologie sein, die mit dem Leben von
Menschen so eng verbunden ist wie das heutige Autofahren. Das rückt es weit weg von der
Kernenergie, während es die Lebensweltnähe gemeinsam mit der Grünen Gentechnik (über
deren Einsatz in der Lebensmittelerzeugung) und dem Mobilfunk hat. Aus beiden Risiko-
debatten kann entnommen werden, wie zentral die Dimension des individuellen Nutzens
ist. Während ein solcher vom Verzehr gentechnisch veränderter Nahrungsmittel sogar von
den Befürworter kaum erwartet wurde, ist der individuelle Vorteil des mobilen Telefonie-
rens und des mobilen Internetzugangs evident. Und sobald dieser Nutzen erkennbar groß
ist, sind Menschen auch bereit, mögliche Risiken einzugehen. Das ist handlungstheoretisch
absolut rational. Irrational ist es dagegen, Risiken auf sich zu nehmen, wenn der Nutzen
nicht erkennbar ist oder nur anderen Akteuren (Beispiel Monsanto für die Grüne Gentech-
nik) zukommen würde. Dann kann eine Risikodebatte dramatische Folgen haben und
beispielsweise zum K.o. für die Akzeptanz führen.
Eine andere Möglichkeit für eine solche K.o.-Situation kann die Möglichkeit eines GAU
darstellen, wie er als sogenanntes „Restrisiko“ charakteristisch für die Kernenergie ist. Die-
ses wurde durch politische Entscheidungen verordnet, wobei kaum Mitwirkungsmöglich-
keiten bestanden. Hier lag also eine weitgehend als passiv empfundene Risikosituation des
Ausgeliefertseins an Entscheidungen anderer vor. Aus dieser Konstellation ist nichts direkt
für das autonome Fahren zu lernen, da dieses voraussichtlich marktnah in einem vertrauten
Kontext des üblichen Verkehrs eingeführt und damit von der faktischen Akzeptanz der Nut-
zerinnen und Nutzer abhängen würde. Zwar sind auch andere Einführungs
szenarien denkbar
(s. Kap. 10), jedoch ist eine politische Verordnung des autonomen Fahrens kaum vorstellbar.
Indirekt kann aus der Geschichte der Kernenergie nur gelernt werden, dass expertokratische
Arroganz Misstrauen erzeugt. Eine offene Diskussion „auf Augenhöhe“ – das ist auch eine
Lehre aus der Debatte zur Nanotechnologie – ist in einer offenen Gesellschaft eine zentrale
Voraussetzung für einen konstruktiven Verlauf von Technikdebatten.
Insgesamt zeigen die Beispiele auch, dass der Vorwurf der Technikfeindlichkeit der
Deutschen eine Legende ist, die sich nur an den Erfahrungen mit Kernenergie und Gen-
technik festmacht. Alle empirischen Untersuchungen zeigen, dass ansonsten in einem
Autonomes Fahren
Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte
Gefördert durch die Daimler und Benz Stiftung