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Das Badewesen bis ins 16. Jahrhundert
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Wer da meint, hier habe Guarinoni wieder maßlos übertrieben, sei auf den unbekann-
ten niederösterreichischen Autor des Seifried Helbling verwiesen, der bereits Ende des
13. Jahrhunderts in einem Gedicht vermerkte :
»Ich hôrte, daz der bader blies und sach mit niugebürstem hâr barfüez ân gürtel slîchen dar
unser nâchgebûren drî«.51
Barfuß und ohne Gürtel : Diese drei Nachbarn eilten offenkundig auch nur im Hemd
zum Bad. Es gibt noch andere Nachrichten, dass Leute, selbst Standespersonen, schon
im Badegewand auf den Gassen zu sehen waren.52 Man sollte sich nicht wegen der
wenigen Zeugnisse, die von halbnackten oder leicht geschürzten Badegästen auf der
Straße sprechen, täuschen lassen und meinen, das seien eben Ausnahmefälle gewesen.
Viel wahrscheinlicher ist, dass die städtischen Obrigkeiten nur seltsame Praktiken und
krasse Missbräuche rügten und im Übrigen luftig gekleidete Badbesucher als nicht
auszurottendes Übel hinnahmen.
Der Grund dazu dürfte in der räumlichen Enge der vielen Kleinstädte des Mittel-
alters53 gelegen haben. Man brauchte nur eben über eine Gasse, Straße, einen Platz
oder kurz um die Ecke gehen und schon stand man vor dem Bad. Wozu dann sich
erst darin umziehen, das konnte man schon gut und bequem zu Hause erledigen. Als
Beispiel diene Rattenberg, eine kleine Stadt am Inn, in der zu Beginn des 16. Jahrhun-
derts rund 750 Leute wohnten.54 Kein Einwohner der Stadt war mehr als ca. 250 m
vom Bad entfernt,55 die meisten hatten es wesentlich näher. Was Guarinoni über Halls
Badbesucher sagt, wird auch auf Rattenberg zugetroffen sein, nur erfährt man nichts
davon. Es war halt so üblich. Lediglich ein einziger Eintrag in den Ratsprotokollen
des 16. Jahrhunderts lässt erkennen, dass sich auch die Rattenberger wenig um den
Anstand scherten, wenn es um den Gang zum oder vom öffentlichen Bad ging. 1563
hielt der Rat Herrn Wolfgang (Antzinger), dem Frühmesser, und Meister Hans Fäler,
dem Bader, vor, sie sollten den Leuten gegenüber »geschmeidig« (höflich, konziliant)
sein und nicht »zunässt« unter das Volk gehen. Meister Hans solle überhaupt nicht
ins Bad gehen.56 Wenn Wolfgang Antzinger nass, also ohne sich abzutrocknen, aus
dem Bad die ca. 100 m zu seiner Wohnung eilte, kann er nicht in der Straßenkleidung
oder Priestertracht gewesen sein, sondern dürfte nur ein Badehemd getragen haben.57
Was man an den einfachen Leuten durchgehen ließ und nicht für erwähnenswert hielt,
tadelte man am Kleriker Antzinger als Standesperson. Wenigstens er sollte auf gutes
Benehmen achten.
Hall hatte eine zweieinhalb- bis dreimal so große Bevölkerung wie Rattenberg, besaß
eine wesentlich größere bebaute Fläche und verfügte über vier öffentliche Bäder und
nicht nur über eines wie Rattenberg. Doch auch in Hall werden die meisten Bewohner
nur einen kurzen Weg zum gemeinen Bad gehabt und sich deshalb das Umkleiden im
Im städtischen Bad vor 500 Jahren
Badhaus, Bader und Badegäste im alten Tirol
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Im städtischen Bad vor 500 Jahren
- Subtitle
- Badhaus, Bader und Badegäste im alten Tirol
- Author
- Robert Büchner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79509-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 202
- Category
- Geographie, Land und Leute