Page - 57 - in Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich
Image of the Page - 57 -
Text of the Page - 57 -
Die Bautätigkeit des Bistums Passau in Österreich 57
Unter Bischof Wolfger von Passau ( reg. 1191–1204 ) wurde eine wohl schon äl-
tere Idee aufgegriffen , die Administration des Bistums zu reorganisieren. Wolfger
ersuchte Papst Coelestin III. um Einsetzung eines dem Passauer Episkopat unter-
stellten Suffraganbischofs , um Vorwürfen zu begegnen , das große Diözesangebiet
könne seelsorglich nicht ausreichend betreut werden. Anscheinend wollte Bischof
Wolfger den Sitz des Suffragans im Passauer Eigenkloster St. Pölten einrichten :
Bischof Wolfger übergab sein Haus nördlich der Stiftskirche im Jahre 1192 dem
Kloster , damit an dessen Stelle der noch fehlende vierte Flügel des Kreuzgangs er-
baut werden konnte217. Zu dieser Zeit residierte in St. Pölten Propst Sigehard , ein
Passauer Archipresbyter , als höchster bischöflicher Würdenträger innerhalb des
Herzogtums Österreich. Bauarchäologische Untersuchungen haben gezeigt , dass
der von Bischof Wolfger veranlasste Kreuzgangflügel um 1200 tatsächlich erbaut
worden ist218. Nicht verwirklicht wurde hingegen das Anliegen zur Einsetzung
eines Suffragans. Vor allem Salzburg setzte Widerstand entgegen , da die Gefahr
einer Ausgliederung von Passau aus der Salzburger Kirchenprovinz und der Erhe-
bung zur selbstständigen Kirchenmetropole erkannt wurde.
In die Zeit dieser Reformbestrebungen unter Bischof Wolfger – um 1200 –
wird ein Portal von außergewöhnlicher Gestaltungsform und einer noch nicht
ausreichend geklärten Entstehungsgeschichte datiert : Das Westtor der St. Ste-
phanskirche in Tulln besitzt eine einfach abgestufte , rundbogige Laibung und
links und rechts breite , an der Vorderseite mit Flachreliefs versehene Portalpfos-
ten , die je sechs Halbfigurendarstellungen in Rundbogennischen mit Flechtwerk-
umrahmung aufweisen ( Abb.
10 ). Fritz Novotny219 und Renate Wagner-Rieger220
meinten , in den Halbfiguren Darstellungen der Zwölf Apostel zu erkennen ; Fritz
Simader221 schlug als Erklärung vor , dass es sich um Darstellungen historischer
Persönlichkeiten , nämlich um die zwölf Passauer Bischöfe , handeln könnte ,
die seit der Gründung der Passauer Eigenpfarre Tulln ( 1014 ) bis zum Episkopat
Bischof Wolfgers regiert hätten. Wenn die Errichtung des Portals mit dem ur-
kundlich überlieferten Aufenthalt Wolfgers von Passau in Tulln im Jahre 1203
in Zusammenhang gestanden sein sollte , wäre es denkbar , dass die auffallende
antikisierende Gestaltung der Figurenreliefs in der Art provinzialrömischer Grab-
steine , auf die bereits Hans Tietze hingewiesen hat222 , eine demonstrative Bezug-
nahme auf die Kontinuität der Passauer Bischofsmacht seit der Römerzeit ausdrü-
cken sollte , welche schon im 10. Jahrhundert von Bischof Pilgrim unter Berufung
auf die Nachfolge des Erzbistums Lauriacum ( Lorch ) wiederholt postuliert wor-
den war223. Bischof Wolfgers Reformbestrebungen hatten ja , wie einst Bischof
Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich
- Title
- Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich
- Author
- Mario Schwarz
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78866-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Medieval architecture, Austrian art, Medieval art, Austrian architecture, Architectural history, 13th century architecture
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Kunst und Kultur