Page - 106 - in Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich
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Die Bautätigkeit Herzog Leopolds VI.
106 gen Baudetails der Capella Speciosa sind ausschließlich erfahrenen französischen
Künstlern zuzuschreiben und waren bis dahin in Mitteleuropa unbekannt. Wie
Untersuchungen zeigten , ist an den Grundmaßen der Capella Speciosa tatsäch-
lich auch die Maßeinheit Pariser Fuß nachweisbar. Die Vermittlung solch hoch
qualifizierter , begehrter Baukünstler kann nur auf höchster Ebene , wie von Fürs-
tenhof zu Fürstenhof , erfolgt sein.
In ihrer 1997 publizierten Dissertation versuchte Ulrike Seeger , die Capella
Speciosa vom Vorbild der Pfalzkapelle in Aachen abzuleiten344. Wie sich jedoch
beweisen lässt , folgt die axiale Bauanlage der Capella Speciosa einem grundsätz-
lich anderen Typus als der Zentralbau der Aachener Pfalzkapelle. Um diese rich-
tig beurteilen zu können , muss man auf die Ursprünge ihrer Bauform zurückge-
hen. Wie nachweisbar ist , folgte die Aachener Marienkirche dem Bauvorbild von
San Vitale in Ravenna : Diese vor 548 errichtete Kirche ist , so wie die Aachener
Kapelle , ein polygonaler Zentralbau mit achteckigem , kuppelig überwölbtem
mittlerem Raumschacht , mit Umgängen im Erdgeschoss und einer umlaufenden
Empore sowie mit charakteristischen Öffnungen zum Mittelraum , die aus über-
greifenden Bogen mit eingestellten Säulenunterteilungen bestehen345. San Vitale
selbst stand in einer bis in die Spätantike zurückreichenden Tradition zentral-
bauförmiger Kaiserkirchen. Wie Richard Krautheimer erkannte , war bereits das
Goldene Oktogon Kaiser Konstantins in Antiochia , begonnen 327 und vollendet
im Jahre 341 unter Konstantin II. , der Prototyp einer kaiserlichen Palastkirche in
Form eines achteckigen Zentralbaus346. Eng verwandt mit San Vitale ist auch die
Innenstruktur der Hofkirche der Hagioi Sergios und Bakchos in Konstantino-
pel , die Justinian noch zur Regierungszeit Kaiser Justins beim Hormidas-Palast
hatte erbauen lassen und nach seiner Thronbesteigung fertigstellen ließ347. Mit
der Kirche des Johannes Prodromos entstand unter Kaiser Justinian in Konstan-
tinopel im Hebdomon-Palast noch eine weitere Hofkapelle in Form eines acht-
eckigen Zentralbaus348.
San Vitale in Ravenna galt zur Zeit Karls des Großen gleichsam als Inbegriff ei-
ner Kaiserkirche , die sowohl in Bauart ( nulla in Italia ecclesia similis est in aedificiis
et in mechanicis operibus 349 ) als auch in der Kostbarkeit ihrer Ausstattung im Wes-
ten nicht ihresgleichen hatte. Die Tradition Ravennas als Residenz der weströmi-
schen Kaiser , der ostgotischen Könige und der byzantinischen Exarchen mag Karl
den Großen bei seinen Aufenthalten in dieser Stadt 787 und 801 ebenso beein-
druckt haben wie die Darstellung Kaiser Justinians und Kaiserin Theodoras in den
Mosaikbildern des Presbyteriums von San Vitale. Wie Günter Bandmann meint ,
Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich
- Title
- Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich
- Author
- Mario Schwarz
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78866-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Medieval architecture, Austrian art, Medieval art, Austrian architecture, Architectural history, 13th century architecture
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Kunst und Kultur