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Die Bautätigkeit Herzog Leopolds VI.
130 Kapelle nach französischem Vorbild ein Reliquienheiligtum schaffen konnte , das
zur Verehrung kostbarster Heiltümer , wie Reliquien des hl. Johannes des Täufers ,
bestimmt war , und dies noch dazu am Ort des Eigenklosters der Babenberger ,
wo schon sein Urgroßvater Markgraf Leopold III. einen Bischofssitz zu errichten
beabsichtigt hatte , musste dieser demonstrative Akt als Herausforderung für den
Passauer Bischof empfunden worden sein. Wenn zudem noch an bestimmten Fei-
ertagen am Ort der Capella Speciosa Heiltumsweisungen stattfanden , bei denen
dem Volk die Reliquienschätze gezeigt wurden , die mit der Gewinnung eines Ab-
lasses ( indultum ) verbunden waren , was in vergleichbaren Fällen mancherorts zu
volksfestartigen Veranstaltungen ( Dult ) führte , so beanspruchte der Landesfürst
damit eine selbstständige religiöse Funktion , wie sie durchaus in das historische
Bild seiner sonstigen Aktivitäten passt. Dass eine derartige Heiltumsweisung in
Klosterneuburg mit der lokalen Tradition verbunden gewesen und wohl am ehes-
ten am Jahrestag des Todes des Stifters Markgraf Leopold III. ( 15. November )
stattgefunden haben kann , wird umso wahrscheinlicher , als überliefert ist , dass
seit 1194 die alljährliche Erteilung einer Spende zum Gedenken an den Markgra-
fen und die feierliche Beleuchtung seines Grabes zum Brauch erhoben wurden450.
Die Capella Speciosa aber entstand genau an jener Stelle , wo sich die Burgkapelle
Leopolds III. befunden hatte.
Es ist in Einzelheiten unbekannt , auf welchen Wegen die Vermittlung der
französischen Baukünstler an den Hof Herzog Leopolds VI. zustande kam.
Möglicherweise arbeitete bereits eine Gruppe französischer Werkleute am Bau
des Palas von Klosterneuburg , den der Herzog wahrscheinlich schon 1198 be-
ginnen ließ451 ; in diesem Fall hätte diese erste Künstlergruppe den Nachzug ei-
ner hoch spezialisierten Werkstatt aus dem Bereich der königlichen Baukunst
Frankreichs vermitteln können. Ein direkter Kontakt zu König Philipp II. Au-
gust von Frankreich ( reg. 1180–1223 ) wäre vorstellbar : Der französische König
hatte selbst im Jahre 1190 am Dritten Kreuzzug teilgenommen , so wie der Vater
Leopolds VI. , und war ein traditioneller Verbündeter des Kaisers Friedrich II. ,
auf dessen Seite auch der Babenberger stand. Von Bedeutung waren zweifellos
auch die Beziehungen Leopolds VI. zu König Andreas II. von Ungarn und den
Grafen von Andechs-Meranien. Im Auftrag von Königin Gertrud ( gest. 1213 )
und ihrem einflussreichen Bruder Berthold von Andechs-Meranien , Erzbischof
von Kalocsa ( reg. 1205–1218 )452 , arbeitete eine Werkstatt französischer Bauleute
in Ungarn , die für den Neubau der Kathedrale von Kalocsa und offenbar auch
der Kirche des hl. Protomärtyrers Stefan in Esztergom453 verantwortlich war. Die-
Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich
- Title
- Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich
- Author
- Mario Schwarz
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78866-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Medieval architecture, Austrian art, Medieval art, Austrian architecture, Architectural history, 13th century architecture
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Kunst und Kultur