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152 Von der Ioha>:ni«hütte auf der Pasterze über bic
gelegene Thal fast senkrecht unter sich erblickt. In diesem Blick in die
Tiefe oder wie die Pmzgcmer sagen: „schiechen Absehen" liegt die Gefahr
für Jene, welche dem Schwindel unterworfen sind, und für sie soll
namentlich eine Stelle furchtbar sein, wo eine Felsplatte bis mitten in
den Schutt des hohen Ganges heraufreicht. Für den Schwindelfreien
hat der Weg jedoch keine Gefahr, denn der Tritt auf dem ziemlich
großen Schutt ist, vollends mit Steigeisen, ganz sicher.
Wir hatten die Steigeisen am Beginn des hohen Ganges an den
Füßen befestigt und schritten schnell über ihn fort. Ich habe hier das
Eigenthümliche erlebt, daß ich das wahrhaft Schreckliche des hohen
Ganges gar nicht kennen lernte, weßhalb ich auch bei Erwähnung seines
Abfalles in die Tiefe das Wortchen „soll" gebraucht habe.
Der dichte Nebel hatte sich in der Tiefe gelagert und er begann
nur wenig unterhalb des hohen Ganges, und so sah ich zwar, daß ich
über einem furchtbaren Abgrunde wandelte, aber wie tief derselbe eigentlich
sei, ist mir bis heute ein Geheimniß geblieben.
Als ich später, nachdem wir etwa eine Viertelstunde auf dem
verrufenen Wege gegangen waren, an Nöderer die Frage stellte, ob wir
schon über jene Platte gekommen seien, bedeutete er mir, daß wir gerade
über ihr seien. Doch auch das machte keinen Eindruck auf mich, weil
ich heute einen Unterschied zwischen dieser Stelle und dem übrigen Wege
zu finden nicht vermochte. Nur ganz zuletzt stutzte ich einen Augenblick,
Der Nebel war zu uns heraufgestiegen und kam jetzt in solcher Dichtig-
keit herangeflogen, daß wir kaum ein paar Klafter weit sehen konnten.
Da sprach mein trefflicher Pilot das Bedenken aus, er meine, wir seien
schon etwas zu tief gestiegen, er könne aber das Wahrzeichen des Endes
des hohen Ganges, das Nemsschartel, wegen des Nebels nicht finden.
Allein noch war ich mit meiner Bemerkung darauf, daß hier nicht zu
scherzen sei und wir lieber zuwarten sollten, bis sich der Nebel wieder
«twas zertheilt hätte, nicht zu Ende, so tauchte unmittelbar über uns
ein spitziges Felsstück aus dem Nebel auf. Nöderer begrüßte es mit
einem Freudenschrei, denn es war das Nemsschartel und der hohe Gang
war überstanden. Wir hatten auch über ihn eine halbe Stunde gebraucht.
Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
- Title
- Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
- Author
- Anton von Ruthner
- Publisher
- Carl Gerold's Sohn
- Location
- Wien
- Date
- 1864
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.8 x 19.2 cm
- Pages
- 440
- Keywords
- Alpen, Gebirge, Natur
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918