Page - 304 - in Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
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Die eiste Ersteigung des Großvenediger«
biete zwei stattliche Eisberge von der Gestalt der obern Hälfte einer
Kugel lange bewunderte, an dem Punkte an, wo jedes weitere west-
liche Vordringen unmöglich ist, da sich der Berg hier plötzlich mit einer
stellen Eiswand zur Verbindung mit deni heiligen Geistkeeskogel senkt.
In den Fußstapfen der Führer, die jetzt nordwärts wiesen, er-
reichten wir dann, auf dem letzten Kamme, der nnr einige Schuh breit
zur Linken fortan, zuletzt aber auch zur Rechten und gegen Osten, steil
in die schwindelnde Tiefe fällt, scharf aufwärts steigend eine Krümmung,
von welcher wir in geringer Entfernung von uns die höchste Spitze
nnd auf ihr unseren wackern Sepp erblickten.
Als er mich und Weyerhofer, der meinen Tritten folgte, gewahr
wurde, ging er uns rasch entgegen und reichte mir die Hand, die ich
denn auch aufs herzlichste schüttelte, Dieser Augenblick war aber auch
sicher für ihn so freudig als für mich.
Er hatte behauptet, den Weg zur Spitze erforscht zu haben, jedoch
ani alten Vorurtheile der Unersteigbarkeit hängend, glaubte es die Mehr-
zahl nicht und deshalb folgten ihm viele heute uur mit Furcht, weil
sie ihn für einen Betrüger hielten, dem es nur um den Führerlohn
zu thun sei, so daß sie unbekannten Gefahren auf noch unbekannten
und unerforschten Wegen entgegen zn gehen wähnten. Jetzt war er
gerechtferiigt — der Venediger aber, die noch jungfräuliche höchste Spitze
Salzburgs, war erstiegen. Wir standen auf der Spitze.
Dieselbe, der höchste Punkt des von Süden nach Norden mit
einer geringen Wendung nach Westen streichenden Kammes, den wir
schon kennen, ist, wie dieser auch sonst überall, ganz mit Eis bedeckt
und hat eine Breite von nur zwei bis drei Fuß, denn der Kamm ist
von seineni südlichen Beginne bis zu seinem Ende an der Spitze immer
schmäler geworden. Vom höchsten Punkte verlängert er sich nur noch
einige Fuß in der bisherigen nördlichen Richtung und fallt hierauf
plötzlich senkrecht in eine ungeheure Tiefe auf den Gletscher ab. Ist
das ganze Aufsteigen auf dem Kamme, wobei mau rechts und links
in die schaurigsten Tiefen unmittelbar unter sich hinabblickt, nicht un-
gefährlich, so ist dies um so mehr hinsichtlich des Betretens der Spitze
der Fall und wenn es bei unserer Besteigung noch möglich war, daß
Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
- Title
- Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen
- Author
- Anton von Ruthner
- Publisher
- Carl Gerold's Sohn
- Location
- Wien
- Date
- 1864
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.8 x 19.2 cm
- Pages
- 440
- Keywords
- Alpen, Gebirge, Natur
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918