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Postkarten anders lesen | 11
Neu und zunächst umkämpft war die Offenheit des neuen Kurznachrichtenträ-
gers. Postkarten machten die diskursiven Praktiken einer allgemeinen Öffentlich-
keit sichtbar und transformierten geltende Standards von Stil und Komposition
nachhaltig. Die semi-öffentliche Qualität der Postkarte hatte aber auch noch an-
dere Folgen: Denn abseits der Frage, wie das Private auf neue Weise Teil einer
öffentlichen Kommunikationskultur wird, geht es dabei auch um eine neue, öf-
fentliche Sichtbarkeit unterschiedlicher Sprachen, die besonders für mehrspra-
chige Regionen von großer Relevanz ist. Sowohl das, was Menschen einander auf
Postkarten mitteilen, als auch sie selbst sind – durch ihre gedruckten Aufschriften,
Ortsnamen, die verwendeten Briefmarken und Stempel – grundsätzlich sprachlich
verfasst und eröffnen damit nicht nur einen Blick auf konkrete Sprachpraktiken
innerhalb von mehrsprachigen Gesellschaften, sondern auch eine Perspektive auf
das gesellschaftliche Verhältnis der verwendeten Sprachen zueinander.
Damit scheinen Postkarten eine besonders fruchtbare Quelle für Fragestellun-
gen zu sein, die in der Beforschung mehrsprachiger Regionen in letzter Zeit immer
mehr an Relevanz gewonnen haben. Insbesondere für den Bereich der Habsburger
Monarchie ist der Blick auf mehrsprachige Regionen in letzter Zeit zu einem For-
schungsfokus geworden.6 Dabei richtet sich der Blick zusehends auf die konkreten
Praktiken von Mehrsprachigkeit und Diglossie, wie sie anhand unterschiedlicher
Quellen rekonstruiert werden können, auf Formen des Zusammenlebens von meh-
reren Sprachgruppen in einem gemeinsamen Raum, auf konflikthafte ebenso wie
auf unproblematisch empfundene Formen der Kohabitation. Dieses Forschungs-
interesse, das auf Ebene einer sehr breiten gesellschaftlichen Praxis ‚‘ansetzt,
scheint sich mit Postkarten in vielfacher Hinsicht weiterverfolgen und vertiefen
zu lassen.
6 Zuletzt: Markian Prokopovych, Carl Bethke, Tamara Scheer (Hg.), Language Diversity
in the Late Habsburg Empire (Central and Eastern Europe. Regional Perspectives in
Global Context 9), Leiden/Boston 2019. Für einen Überblick vgl. den Beitrag von Jo-
hannes Feichtinger in diesem Band sowie im Kontext der slowenisch-deutschen
Sprachgrenze: Pieter M. Judson, „Do Multiple Languages Mean a Multicultural Soci-
ety? Nationalist ‚Frontiers‘ in Rural Austria, 1880–1918“, in: Johannes Feichtinger,
Gary B. Cohen (Hg.), Understanding Multiculturalism. The Habsburg Central Euro-
pean Experience, New York et al. 2014, S. 61-84. Zu Mehrsprachigkeit und Schul-
wesen, vgl. Hanna Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichi-
schen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995; Hanna Burger, „Die Vertreibung der
Mehrsprachigkeit am Beispiel Österreichs 1867–1918“, in: Gerd Hentschel (Hg.), Über
Muttersprachen und Vaterländer. Zur Entwicklung von Standardsprachen und Natio-
nen in Europa, Frankfurt am Main, Wien 1997, S. 35-50.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Title
- Bildspuren – Sprachspuren
- Subtitle
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Authors
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Editor
- Eva Tropper
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 346
- Keywords
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen