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28 | Johannes Feichtinger
der mehrsprachigen Bevölkerung klar zu machen, dass die Zugehörigkeit zu einer
Nation mit hohen Kosten verbunden war, nämlich einer aufgezwungenen Verar-
mung der kommunikativen Praxis durch Verwendung einer Sprache.
Die Ethnisierungsarbeit leisteten Vereine wie z.B. der Deutsche Schulverein,
Lehrer, Juristen, Historiker und Volkskundler und andere Ethnisierungsagenten.
Sie erfanden neue Begriffe zur Definition unterschiedlicher Sprachgruppen, die
sie voneinander durch vorgebliche Kulturgrenzen trennten.
WARUM HABSBURG ZENTRALEUROPA
NICHT MULTIKULTURELL WAR
Begriffe wie Ethnizität, Mono- und Multikulturalität sind für die gelebte soziale
Praxis vermischter Sprachverwendung blind. Während der Ethnizitätsbegriff be-
reits von zeitgenössischen politischen Akteuren zur Verrichtung sprachlich-natio-
naler Kategorisierungsarbeit verwendet wird, ist der Multikulturalitätsbegriff eine
spätere Prägung. Beide Begriffe erfüllen allerdings dieselbe Funktion, nämlich das
nationalstaatliche Prinzip zu rechtfertigen bzw. zu retten. Sie stellen ethnische
bzw. kulturelle Unterschiede als Voraussetzung und Grundlage von nationaler
Identität hin und setzen Kultur als Hilfsmittel für die Abgrenzung unterschiedli-
cher Volks- bzw. Sprachgruppen voneinander ein. Durch die Verwendung dieser
Begriffe wird die Erhaltung von sprachlicher und kultureller Diversität zur Pflicht
erhoben.18 Soziologen beschreiben Begriffe dieser Art als „politisch-bürokratische
Konstrukte“.19 Mit der Erfindung und Anwendung des Ethnizitätsbegriffs im 19.
Jahrhundert wurden Unterschiede verdeutlicht, wo keine waren. Mit den Begriffen
Mono- und Multikulturalität wurde im 20. Jahrhundert die exklusive Zugehörig-
keit zu einer Kultur von der Verwendung einer bestimmten Sprache abhängig ge-
Cambridge, Mass./London 2006; Nancy M. Wingfield (Hg.), Creating the ‚Other’. Eth-
nic Conflict and Nationalism in Habsburg Central Europe (Austrian and Habsburg
Studies 5), New York/Oxford 2003.
18 Vgl. Johannes Feichtinger, Wissenschaft als reflexives Projekt. Von Bolzano über Freud
zu Kelsen: Österreichische Wissenschaftsgeschichte 1848–1938, Bielefeld 2010, S. 99-
104, hier S. 100f.
19 Vgl. Sighard Neckel, „Politische Ethnizität. Das Beispiel der Vereinigten Staaten“, in:
Birgitta Nedelmann (Hg.), Politische Institutionen im Wandel (Kölner Zeitschrift für
Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 35), Opladen 1995, S. 217-236, hier
S. 222f.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Title
- Bildspuren – Sprachspuren
- Subtitle
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Authors
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Editor
- Eva Tropper
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 346
- Keywords
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen