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30 | Johannes Feichtinger
menspiel von Ähnlichkeiten und Differenzen, die im Alltag ungeachtet der Nati-
onalisierung die Handlungszusammenhänge bestimmten, legt nicht zuletzt auch
die Gesellschaft im späten Habsburg Zentraleuropa Zeugnis ab.
VON DER KONSTRUKTION DER NATIONALITÄT
ÜBER DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SPRACHEN
ZUM NATIONAL(ITÄTEN)STAAT
Im Zuge des so genannten Ausgleichs zwischen Österreich und Ungarn 1867 wur-
den in beiden Reichshälften der Habsburgermonarchie die landesüblichen Spra-
chen in Schule, Amt und öffentlichem Leben durch Staatsgrundgesetze als gleich-
berechtigt anerkannt. Jeder konnte, aber keiner musste seither in Österreich eine
andere Landessprache erlernen. Auch in Ungarn konnte jeder auf Kommunal-
ebene seine Sprache verwenden. Das „unverletzliche Recht“ „auf Wahrung und
Pflege seiner Nationalität und Sprache“ sowie die „Gleichberechtigung“ der „im
Lande üblichen verschiedenen Sprachen“ wurde allerdings nur den einzelnen
Staatsbürgern gewährt,22 nicht aber den so genannten Nationalitäten. Ihnen wurde
die Autonomie vorenthalten. Sie blieben, was sie bis dahin waren – staatsrechtli-
che Fiktionen. Nicht zuletzt deshalb widmete sich künftig der Kampf der nationa-
len Aktivisten dem Ziel der Zuerkennung von nationalen Gruppenrechten, das sie
durch die Konstruktion nationaler Zusammengehörigkeitsvisionen zu erreichen
hofften. Während unter Zeitgenossen von „natürlichen Unterschieden“, von „Cul-
turverschiedenheiten“ und von „ethnischen“ Unterschieden die Rede war,23 die
den Nationalitäten zunehmend bewusst geworden wären, hat die neuere Habs-
burg-Forschung den Konstruktionscharakter der Nationalitäten klar offengelegt.24
22 „Staatsgrundgesetz vom 21. December 1867, über die allgemeinen Rechte der Staats-
bürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder.“ StF: RGBl. Nr.
142/1867, http://www.ris.bka.gv.at; „Ueber die Gleichberechtigung der Nationalitä-
ten.“ 44. Gesetzartikel vom 6. Dezember 1868, Landesgesetz-Sammlung für die Jahre
1865, 67 und 1868, Pest: Ráth 21872, S. 270-278.
23 Franz Palacký, Oesterreichs Staatsidee, Prag 1866 [Original 1865], S. 13; Adolph
Fischhof, Österreich und die Bürgschaften seines Bestandes. Politische Studie, Wien
1869, S. 5.
24 Vgl. Pieter M. Judson, „Constructing Nationalities in East Central Europe. Introduc-
tion“, in: ders., Marsha L. Rozenblit (Hg.), Constructing Nationalities in East Central
Europe (Austrian and Habsburg Studies 6), New York/Oxford 2005, S. 1-18; ders.,
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Title
- Bildspuren – Sprachspuren
- Subtitle
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Authors
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Editor
- Eva Tropper
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 346
- Keywords
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen