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Von Schienen, Schloten und Schulen | 211
„Prosim dragi prijatel popravi tisti bicikl do 19 | julju tedaj jaz pridem v maribor
po svojih opravkih | daj se videti zvečer pri kolniku in mi prdaj to reč | pozdravi
Hani Andrasič“
[Übersetzung: 'Bitte lieber Freund richte dieses Fahrrad bis 19. Juli her dann komme
ich nach Maribor wegen meiner Erledigungen. Schau dass wir uns am Abend beim
Kolnik sehen und übergib mir diese Sache. Grüß‘ die Hana Andrasič']
Nachrichten wie diese zeigen, dass Postkarten zur alltäglichen Kommunikation
genutzt wurden, gleichzeitig legen sie Zeugnis von der fortschreitenden Alphabe-
tisierung der einfachen Bevölkerung ab, die sich nun auch für alltägliche Abspra-
chen der Schrift bedient. Der Schreiber dieser Postkarte schreibt in einem einfa-
chen, dialektal geprägten Slowenisch, verzichtet gänzlich auf Großschreibung,
auch bei Eigennamen (v maribor, pri kolniku), lässt vielfach Buchstaben aus, die
der phonetischen Aussprache widersprechen (prijatel statt prijatelj; prdaj statt
predaj) und verwendete für sein Gefährt das umgangssprachliche, aus dem Fran-
zösischen bzw. Englischen entlehnte Lehnwort bicikl. Das Fahrrad, um dessen
Reparatur gebeten wird, ist eines der kleinen Zeichen von Modernisierung auf dem
Land. Auf vielen Fotografien wird das Fahrrad prominent präsentiert oder es wer-
den Fahrradausritte erwähnt, woraus man schließen kann, dass es mit einigem
Stolz hergezeigt wurde und die individuelle Mobilität stark erhöhte. Auch in gän-
gigen Darstellungen der Zukunft darf das Fahrrad nicht fehlen.
ZUKUNFTSVISIONEN UND MODERNISIERUNGSANGST
Der rasante Fortschritt, der das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert
prägte, manifestierte sich auch in einem tiefen Vertrauen darauf, dass dieser Auf-
schwung ungebremst so weitergehen würde. Vor der Katastrophe des Ersten Welt-
kriegs waren die meisten Zeitgenossen überzeugt, dass sich das Leben in der Zu-
kunft durch zahlreiche technische Neuerungen angenehmer, schneller und effizi-
enter, aber auch aufregender gestalten würde. Postkartenverleger in ganz Europa
legten Postkarten auf, die eine imaginierte Zukunft zeigten, die vor technischen
Geräten und Neuerungen nur so wimmelte.
Dieser Trend fand seinen Weg auch in die Untersteiermark und so legte der
Verleger E. Pufitsch aus Rogaška Slatina/Rohitsch Sauerbrunn 1911 eine Karte
auf, die den damals beliebten Kurort in der Zukunft zeigte.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Title
- Bildspuren – Sprachspuren
- Subtitle
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Authors
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Editor
- Eva Tropper
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 346
- Keywords
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen