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Motiv Stadt, Motiv Mensch | 241
DAS MOTIV STADT
Die sich wandelnde Stadt entwickelte sich mit der Postkartenmode plötzlich in
bislang unbekanntem Ausmaß zu einem häufigen Bildmotiv. Sie war zwar bereits
zuvor bildlich dargestellt und mit dem Fotoapparat eingefangen worden, doch die
neuen Möglichkeiten des Beobachtens, der Suche nach Motiven, der Jagd mit dem
Fotoobjektiv, wie sie durch das neue Phänomen Postkarten hervorgerufen wurde,
waren bis dato unbekannt.
Was wurde also zum Gegenstand dieses visuellen Festhaltens und wie wurde
dadurch eine Art visueller Kanon der Stadt herausgebildet? Im Wesentlichen zei-
gen Postkarten das, was als sehenswürdig gegolten hat. Der Bezug von Postkarten
zum städtischen Raum ist identifikatorischer Natur. Zum Bild wird, worauf man
stolz war, womit man sich identifiziert hat. Damit haben Postkarten – gemeinsam
mit anderen Medien, wie etwa Reiseführern – an einer Kanonisierung des Sehens-
werten mitgearbeitet.11 Dies gilt natürlich nicht nur für Maribor/Marburg, sondern
auch für andere ähnliche Städte. Zugleich kann man auf den um 1900 zirkulieren-
den Motiven einen weitgehend bürgerlichen Blick auf die Stadt feststellen. Be-
stärkt durch seinen gesellschaftlichen Einfluss nahm sich das Bürgertum das
Recht zur visuellen Interpretation seiner Umgebung heraus, inszenierte sich auf
Postkarten selbst und erlangte gewissermaßen die Deutungshoheit über den städ-
tischen Raum.12
Vor allem die ganz frühen Postkarten waren häufig mosaikhafte Collagen
mehrerer kleiner Ansichten – auf ihnen waren die wichtigsten Gassen und Plätze,
die Kirche, das Theater, der Bahnhof, manch ein Denkmal und vielleicht die Brü-
cke dargestellt. Abhängig vom Entstehungszeitpunkt der jeweiligen Postkarten
von Maribor/Marburg reihten sich auf ihnen die wichtigsten Gebäude und Stadt-
ansichten aneinander – der Burgplatz, die Tegetthoffstraße, die Burggasse, das
Tappeiner- oder das Tegetthoff-Denkmal, die Zug- oder die neue Reichsbrücke,
der Dom oder die Franziskanerkirche, eine Partie durch den Stadtpark, häufig auch
Panoramaansichten. Unter diesen Panoramaansichten als eigenständiges Motiv –
der Klassiker für die Gestaltung von Postkarten – überwogen Ansichten vom
Lendviertel/Lent vom gegenüberliegenden Ufer aus und der Blick auf die Stadt
von den Hügeln am östlichen oder nördlichen Stadtrand aus. Einbildpostkarten
11 Eva Tropper, „Das Medium Ansichtskarte und die Genese von Kulturerbe. Eine visuelle
Spurenlese am Beispiel der Stadt Graz“, in: Moritz Csáky, Monika Sommer (Hg.), Kul-
turerbe als soziokulturelle Praxis, Studienverlag, Wien 2004, S. 33-56, hier S.39.
12 Michael Ponstingl, Straßenleben in Wien. Fotografien von 1861 bis 1913 (= Beiträge
zur Geschichte der Fotografie in Österreich Bd. 2), Wien 2008, S.10.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Title
- Bildspuren – Sprachspuren
- Subtitle
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Authors
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Editor
- Eva Tropper
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 346
- Keywords
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen