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Motiv Stadt, Motiv Mensch | 253
und fanden sich nicht – denn sicherlich wurde nicht aus jeder Aufnahme ein ferti-
ger Verkaufsartikel Postkarte? Interessierte es sie überhaupt? Gut möglich ist
auch, dass angesichts der großen sozialen Stratifikation der Stadtbevölkerung ei-
nige solchen Fragen Aufmerksamkeit, Zeit und Geld schenkten konnten, andere
wiederum, die auf der Straße zufällig eingefangen wurden, vielleicht überhaupt
nie Orte aufsuchten, an denen Postkarten verkauft wurden, geschweige denn, dass
sie sie gekauft hätten. Versandte jemand auch eine solche Postkarte, auf der er
selbst abgebildet war? Oder bewahrte er sie auf? Markierte er darauf sich selbst,
so wie man auch oft auf Fotopostkarten markierte, wer hier zu sehen war? Auf
solchen und auf jenen Fotopostkarten, die zum Zwecke aufgenommen wurden,
bestimmte Menschen, eine Berufs- oder anderwärtig verbundene Gruppe zu ver-
ewigen, markierte man nämlich oft mit einem Kreuzchen sich selbst. Manchmal,
wenn die Postkarte jemandem geschickt wurde, wurde auch ein Strich gezogen
und etwas dazugeschrieben; ähnlich, wie man auch auf Landschaftsansichten oder
Vogelaufnahmen im Raum markierte, wo man wohnte, wo man arbeitete oder wo
sich etwas befand, was vielleicht auch für den Adressaten eine Bedeutung hatte,
z. B. das Haus, in dem man lebte, das Fenster zu jenem Zimmer, in dem man
arbeitete. Auf der Postkarte aus der Josefgasse in Abb. 6 hat beispielsweise jemand
die Fenster eines der Häuser auf der Aufnahme markiert und mit der deutschen
Aufschrift „Hier wohnen wir!“ versehen. Die Postkarte wurde erst nach 1919 ver-
sandt, als Maribor/Marburg nach dem Zerfall der Monarchie im neuen südslawi-
schen Staat ein slowenisches Antlitz verpasst bekam. Zusätzlich zum aufgedruck-
ten deutschen Straßennamen „Die Josefgasse“ wurde handschriftlich dann aber
auch noch (offenbar vom selben Schreiber) die slowenische Bezeichnung „pod
mostom 16“ hinzugefügt, was nach 1919 der neue Name dieser Gasse war. Daran
wird deutlich, dass alte Postkarten aus der Monarchie mit deutschen Aufdrucktex-
ten und alten Motiven auch weiterhin benutzt wurden.
Postkarten eingeklagt wurde: Karin Walter, Postkarte und Fotografie. Studien zur Mas-
senbild-Produktion, Würzburg 1995, S.65f.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Title
- Bildspuren – Sprachspuren
- Subtitle
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Authors
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Editor
- Eva Tropper
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 346
- Keywords
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen