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Motiv Stadt, Motiv Mensch | 267
generiert sich dann von außen, weshalb man sie auch wie Symbole und Metaphern
lesen kann.34
Bewusst sein muss uns, dass es städtische Räume gibt, die auf keiner Postkarte
abgebildet wurden und die dennoch ebenso relevante Teile des Gesamtbildes der
damaligen Stadt darstellten. Wir wissen, dass wir von Postkarten aus nicht in jede
schmutzige Werkstatt oder in jeden Manufakturbetrieb sehen können, wir wissen,
dass wir keine erschöpften Arbeiter, müden Hausmädchen und verschlafenen
Pferdeknechte bei der Arbeit, geschweige denn beim Schlafen, sehen. Wir sehen
keine Beamten in den Ämtern und keine Bürger, die sie wegen eines Amtsge-
schäfts aufsuchen. Wir sehen nicht in die städtischen Strafanstalten und wenn,
dann sehen wir nur die schöne Architektur, ordentliche Werkstätten und aufge-
räumte Küchen. Wir sehen keine schmutzigen Kinder, die sich in engen oder ärm-
lichen Wohnungen drängen und auch keine hungrigen, armen und obdachlosen
Menschen. Weder Dienstmädchen, die in den Höfen die Wäsche waschen noch
kranke Alte, die beim Ofen kauern. Weder die reichsten Großbürger, wie sie um
reich gedeckte Tische sitzen, noch ihre schön gestalteten Schreibstuben bei Ge-
richt. Weder sehen wir in die ersten Fabriken noch ins städtische Krankenhaus.
Auch den Bürgermeister sehen wir weder bei der Arbeit, noch beim Essen oder
beim Erholen. Obwohl sie alle Teil des realen Stadtbildes ihrer Zeit waren, sieht
man sie auf Postkarten nicht. Das wäre kein Anblick gewesen, den man jemandem
per Post unter der Aufschrift „Pozdrav iz Maribora“ oder „Gruss aus Marburg a.
D.“ geschickt hätte.
Sehr wohl aber erhält man einen Blick in das Straßenleben der Stadt Mari-
bor/Marburg. Obwohl das Leben dort pulsiert, kann nicht gesagt werden, dass nur
die höheren Schichten des Bürgertums dargestellt werden. Gerade hierbei sind die
Postkartenbilder sehr demokratisch, da man auf den Straßen der Stadt eine wirk-
lich bunte Gesellschaft sieht – von den fein gekleideten Damen in langen Röcken
mit Sonnenschirmen und Hüten und Männern mit Spazierstock und Hut bis zu den
Straßenfegern, Kutschenfahrern, Handwerkern und Kindern. Häufig sieht man
Männer mit bodenlangen Schürzen (vgl. Abb. 11), die wohl Lehrlinge und Hilfs-
kräfte waren, und Frauen mit Kopftuch und Körben, wohl entweder Marktfrauen,
Bäuerinnen oder Besucherinnen aus dem Umland, die für eine Erledigung nach
Maribor/Marburg gekommen sind und die den Eintritt des ruralen Umlands in das
Gewebe der Stadt symbolisieren. Oder es waren Marburgerinnen aus der niederen
Gesellschaftsschicht. Auf einer Aufnahme aus der sehr lebhaften Tegetthoffstraße
(vgl. Abb. 11) sieht man beispielsweise zum einen eine Frau mit Kopftuch und
Schürze und einem Krug in der Hand und zum anderen eine feine Bürgerin mit
langem Kleid und elegantem Hut. Ebenso zu sehen sind oft Soldaten, Marktfrauen
34 Ibid, S. 9.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Title
- Bildspuren – Sprachspuren
- Subtitle
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Authors
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Editor
- Eva Tropper
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 346
- Keywords
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen