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Multiethnische Mobilisierung | 277
Was die geografische Verortung der Kriegsbildkarten nach Kriegsschauplät-
zen betrifft, so beziehen sich 38 Karten28 oder 76 Prozent auf den sogenannten
„nördlichen Kriegsschauplatz“ der Habsburgermonarchie, also die Ostfront. Sie-
ben Karten (14 Prozent) thematisieren den Kampf der österreichisch-ungarischen
Truppen am „südlichen Kriegsschauplatz“ gegen Serbien und Montenegro. Le-
diglich eine Karte widmet sich der Westfront und würdigt dabei die Leistungen
der österreichisch-ungarischen Artillerieeinheiten „mit denen die großen Erfolge
bei den französischen und belgischen Forts erzielt wurden“ (Nr. 16). Der Krieg
zur See und die außereuropäischen Schauplätze bleiben ebenso wie die sogenannte
„Heimatfront“ gänzlich ausgespart. Ziel der Kriegsbildkarten war es demnach
nicht, eine umfassende Chronik des Weltkriegs abzubilden, sondern gezielt die
Leistungen der österreichisch-ungarischen Truppen an „ihren“ Fronten gegen
Russland und Serbien zu würdigen. Dies zeigt sich auch dadurch, dass die Bünd-
nispartner – insbesondere das Deutsche Reich – kein einziges Mal, weder in Bild
noch Text, in Erscheinung treten.
Entgegen dem – abgesehen von Anfangserfolgen desaströsen – Kriegsverlauf
der ersten Monate 1914/15 zeichnen die Kriegsbildkarten ein uneingeschränkt po-
sitiv gefärbtes Bild von unaufhaltsamen, todesmutig voranstürmenden, stets sieg-
reichen Truppen. Die Karten glorifizieren zunächst Schlachten in Galizien und
Polen sowie anschließend die Zurückschlagung der zaristischen Armee in den
Karpaten, etwa 200 Kilometer südlich bzw. westlich, an den Grenzen der ungari-
schen Reichshälfte. Die dazwischen liegenden Niederlagen bleiben ausgeblendet
und werden nur sichtbar, wenn man sich die in den Bildbeschreibungen erwähnten
Orte auf der Landkarte vergegenwärtigt.
Auf den Kriegsbildkarten enden sämtliche Gefechte, sowohl in Angriff wie in
Verteidigung, selbst bei zahlenmäßiger Unterlegenheit, erfolgreich und die Armee
lässt sich auch durch diverse geografische Widrigkeiten (Wälder, Anhöhen, Flug-
sand) nicht beirren. Angesichts der mörderischen Ausmaße des Krieges an der
Ostfront – allein die Kaiserjäger verloren in den ersten sechs Wochen beinahe
zwei Drittel ihrer anfänglichen Einheitsstärke29 – wirken manche Darstellungen
beinahe tragikomisch, etwa wenn k. u. k. Soldaten die „Russen mit bloßer Faust
28 Bei 35 Karten geschieht dies durch explizite Nennung von Orten und/oder Gegnern, bei
dreien bleibt der Schauplatz ungenannt, kann aber aufgrund der erwähnten Einheiten
zugeordnet werden. Nur 4 der 50 Karten können geografisch überhaupt nicht verortet
werden.
29 Klaus Eisterer, „‚Der Heldentod muß würdig geschildert werden.‘ Der Umgang mit der
Vergangenheit am Beispiel der Kaiserjäger und Kaiserjägertradition“, in: Klaus Eiste-
rer, Rolf Steininger (Hg.), Tirol und der Erste Weltkrieg, Innsbruck 2011 [Nachdruck
der Ausgabe von 1995], S. 105-137, S. 108.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Title
- Bildspuren – Sprachspuren
- Subtitle
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Authors
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Editor
- Eva Tropper
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 346
- Keywords
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen