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Multiethnische Mobilisierung | 283
wie auch in der Armee der Habsburgermonarchie nicht um objektive Fakten son-
dern um bewusste Konstruktionen handelt. Jede Person wurde nur einer Sprache
zugeordnet; bei Mehrsprachigkeit kam eine Mischung aus Zufall, lokalen Verwal-
tungspraktiken und taktischen Entscheidungen sowohl der Rekruten wie auch der
Administration zum Tragen.38 Ebenso wie Bilder und Texte dienen diese Zahlen
im Kontext der Kriegsbildkarten dazu, ein gesteuertes Abbild der Realität zu kon-
struieren.
Geografisch ist Tirol mit fünf Erwähnungen (viermal die Kaiserjäger und ein-
mal die Landesschützen) stark überrepräsentiert, womit der traditionelle Mythos
des Tiroler Einsatzes „für Gott, Kaiser und Vaterland“39 sowohl gewürdigt als
auch weiter gefestigt wurde. Dies ist umso bemerkenswerter, als die Karten bis
Frühjahr 1915 – also noch vor dem Kriegseintritt Italiens – erschienen. Womög-
lich ist diese Gewichtung aber auch gerade in diesem Kontext zu verstehen,
schließlich setzten sich sowohl die Kaiserjägerregimenter wie auch die Landes-
schützen zu knapp 40 Prozent aus italienischsprachigen Soldaten zusammen. Von
den auf den Kriegsbildkarten genannten Einheiten sind lediglich die in Wien bzw.
Klagenfurt rekrutierten Infanterieregimenter 4 und 7 deutschsprachige Regimen-
ter (95 Prozent bzw. 79 Prozent), während ansonsten Regimenter gewählt wurden,
die sich zu zumindest einem Viertel aus einer anderen Sprachgruppe zusammen-
setzten. Gehörten in einem Regiment zumindest 20 Prozent der Mannschaft einer
bestimmten Sprachgruppe an, erhielt diese Sprache den Status einer offiziellen
Regimentssprache. Anschließend wurden Bataillone und Kompanien in diesen
Sprachen gebildet. Dies sollte gewährleisten, dass die Soldaten möglichst effizient
in den ihnen vertrauten Sprachen ausgebildet werden konnten.40 So repräsentierten
die Kriegsbildkarten neben den Deutschen und Italienern auch die Slowenen (26
38 Tamara Scheer, „Konstruktionen von ethnischer Zugehörigkeit und Loyalität in der
k.u.k. Armee der Habsburger Monarchie (1868–1914)“, in: Alexandra Millner, Katalin
Teller (Hg.), Transdifferenz und Transkulturalität. Migration und Alterität in den Lite-
raturen und Kulturen Österreich-Ungarns, Bielefeld Juli 2018, S. 155-174, insbes. S.
161-163. Zu den Erfahrungen der Slowenen vgl. Rok Stergar, „Die Bevölkerung der
slowenischen Länder und die Allgemeine Wehrpflicht“, in: Cole/Hämmerle u.a. (Hg.),
Glanz, Gewalt, Gehorsam, S. 129-151.
39 Umfassend dazu: Laurence Cole, "Für Gott, Kaiser und Vaterland". Nationale Identität
der deutschsprachigen Bevölkerung Tirols 1860–1914, Frankfurt/Main 2000.
40 Tamara Scheer, „K. u. k. Regimentssprachen. Institutionalisierung der Sprachenvielfalt
in der Habsburgermonarchie in den Jahren 1867/8–1914“, in: Klaas-Hinrich Ehlers
(Hg.), Sprache, Gesellschaft und Nation in Ostmitteleuropa. Institutionalisierung und
Alltagspraxis. Vorträge der Tagung des Collegium Carolinum in Bad Wiessee vom 8.
bis 11. November 2012, Göttingen 2014, S. 75-92, hier S. 86.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Title
- Bildspuren – Sprachspuren
- Subtitle
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Authors
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Editor
- Eva Tropper
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 346
- Keywords
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen