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292 | Joachim Bürgschwentner
weniger aufnahmefähigen Städten“ für nur 50.0000 Kinder.62 Für die 150.000
Karten budgetierte das Ministerium für Kultus und Unterricht den – in Anbetracht
der Summen, die in diesem Krieg ausgegeben wurden – lächerlichen Betrag von
5500 Kronen. Ein Spielraum war nicht vorgesehen, im Gegenteil. Sollte der Vor-
rat nicht ausreichen, so seien die Knaben zulasten der Mädchen mit den Karten zu
beschenken. Im Falle, dass der Statthalter anschließend einen Mehrbedarf sähe,
wäre dies abzusprechen.63 Im Oktober hielt Wien Rücksprache mit Innsbruck, ob
es wirklich ratsam sei, ausschließlich die italienischsprachigen Kinder zu beschen-
ken, doch die Statthalterei hatte diesbezüglich keinerlei Bedenken: „Die Deut-
schen verstehen die Gründe dieser Maßregel und werden in keiner Weise eifer-
süchtig sein.“64 Ob die Kalkulation der Verwaltung, dem monetären Aspekt Vor-
rang vor Feingefühl gegenüber kindlichen Gefühlen und nationalen Befindlich-
keiten einzuräumen, dieser Aktion dienlich war, muss aus heutiger Sicht kritisch
betrachtet werden. Zwar ist die Argumentation des Ministeriums nachvollziehbar,
dass man primär das Ziel verfolgte, die vom Irredentismus „gefährdeten“ italie-
nischsprachigen Kinder patriotisch zu beeinflussen, während dies bei den deutsch-
sprachigen Kindern nicht für nötig erachtet wurde. Gleichzeitig bestand durch das
Vorgehen, nur die italienischen Kinder zu beschenken, die Gefahr, die traditionel-
len nationalen Zuschreibungen vom „treuen Deutschen“ und dem „unzuverlässi-
gen Welschen“ zu verfestigen. Dies überrascht umso mehr, als die beteiligten Stel-
len im Schriftverkehr selbst die Chance erkannt hatten, dass die Tiroler Regimen-
ter durch ihre Zusammensetzung aus beiden Sprachgruppen als vereinendes Ele-
ment fungieren konnten. Somit stellt sich die Frage, weshalb offenbar nicht einmal
in Erwägung gezogen wurde, diese Einheit durch die sprachüberschreitende Ver-
teilung von Ansichtskarten an alle Schulkinder zu symbolisieren, zumal die
deutschsprachigen Kriegsbildkarten ohnehin bereits fertig vorlagen.
FAZIT
Der Erste Weltkrieg stellte die Habsburgermonarchie als multiethnisches Reich
vor besondere Herausforderungen. Den inneren Zusammenhalt und die Loyalität
der Bevölkerung aller Sprachgruppen zu sichern, war von Anfang an essentiell.
Die 1914/15 in der österreichischen Reichshälfte erschienene Kriegsbildkartense-
62 ÖStA, AVA, MdI Präs. Kart. 1221, Zl. 14281/1914.
63 ÖStA, KA, KM, MfLV Präs. Kart. 855, Zl. 10454/1914.
64 ÖStA, AVA, MdI Präs. Kart. 1221, Zl. 14281/1914.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Title
- Bildspuren – Sprachspuren
- Subtitle
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Authors
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Editor
- Eva Tropper
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 346
- Keywords
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen