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Deutsch oder slawisch? | 297
Germanentum und Slawentum hochstilisiert worden.4 Makro-ethnisch konstru-
ierte Ideologien dieser Art hatten bereits vor Kriegsausbruch Konjunktur.5 Im
Krieg wurden sie unter den eingängigen Schlagwörtern Panslawismus und
Pangermanismus sowohl zur ideologischen Verbrämung oder Abwehr imperialis-
tischer Absichten genutzt wie auch bei der Ausmalung ethnischer Bedrohungssze-
narien eingesetzt. Zunächst einmal bot die Unterscheidung zwischen ‚deutsch‘
und ‚slawisch‘ den Meinungsführern der in unmittelbarer deutsch-slawischer
Nachbarschaft lebenden Tschechen und Polen das willkommene geistige Rüst-
zeug für die Zurückweisung deutscher Einflüsse jeglicher Art und für die ideolo-
gische Ummantelung eigener Abgrenzungsstrategien.6
Dabei gab es freilich erhebliche Unterschiede: In der politischen Philosophie
der Polen stellte die slawische Idee (poln.: mysl słowiańska) vor allem wegen des
notorisch angespannten Verhältnisses zu Russland keine dauerhaft tragfähige Op-
tion dar und war daher hauptsächlich als ein antideutsches Abwehrprogramm von
Interesse. Eine weitaus nachhaltigere Stellung nahm dagegen der Gedanke der
„slawischen Wechselseitigkeit“ (tschech.: slovanská vzájemnost) seit dem 19.
Jahrhundert im kollektiven Selbstverständnis der Tschechen ein, was sich nicht
4 Vgl. in diesem Zusammenhang vor allem die Beiträge von Hubertus Jahn, Die Germa-
nen. Perzeption des Kriegsgegners in Russland zwischen Selbst- und Feindbild, sowie
von Peter Hoeres, „Die Slawen. Perzeptionen des Kriegsgegners bei den Mittelmächten.
Selbst- und Fremdbild“, in: Gerhard P. Gross (Hg.), Die vergessene Front – der Osten
1914–15, Paderborn 2006, S. 165-200.
5 Vgl. zum Folgenden aus der Fülle der Literatur Vrasticlav Doubek, Ceská politika a
Rusko (1848–1914), Praha 2004, besonders S. 214-285; Vit Dovalil, „Panslawismus
und Pangermanismus als Begriffe“, Acta Universitatis Carolinae – Philologica 2. Ger-
manistica Pragensia XIV (1997), S. 113-122; Dominik Hrodek (Hg.), Slovanství ve
středoevropském prostoru, Praha 2004; Rudolf Jaworski, „Die tschechische und die
polnische Variante des Neoslawismus“, in: Peter Heumos (Hg.), Polen und die böhmi-
schen Länder im 19. und 20. Jahrhundert, München 1997, S. 43-55; Julia Schmid,
Kampf um das Deutschtum. Radikaler Nationalismus in Österreich und dem Deutschen
Reich 1890–1914, Frankfurt/M. 2009; Louis Snyder, Macro-Nationalisms. A History of
Pan-Movements, Westport, Conn. 1984, S. 17-59; Radomir Vlček, Ruský
panslawismus, Praha 2002, S. 113-122.
6 Vgl. dazu u. a.: Rosemarie Müller, „Reaktionen auf die Gleichung ‚germanisch-
deutsch‘ im östlichen Mitteleuropa“, in: Heinrich Beck et al. (Hg.), Zur Geschichte der
Gleichung „germanisch-deutsch“, Berlin 2004, S. 265-283 und zum Folgenden Piotr
Eberhardt, „Polski panslawizm jako idea geopolityczna“, Przegląd Geopolityczny 7
(2014), S. 61-69; Zdeněk Hojda et al.(Hg), Slovanstvi a ceská kultura 19. století, Praha
2006.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Title
- Bildspuren – Sprachspuren
- Subtitle
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Authors
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Editor
- Eva Tropper
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 346
- Keywords
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen