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„Gegen die feindliche Fremdherrschaft“ | 317
wurde geschlossen, das Fach Deutsch sowohl aus der Knaben- wie auch aus der
Mädchen-Volksschule verabschieden.4
Der Standpunkt der Bezirksschulratvertreter aus Šmarje, welche sich also am Be-
ginn des Jahres 1919 dem Deutschunterricht widersetzten, implizierte, dass das
Deutsche schon in den Jahrzehnten vor dem Zerfall der Doppelmonarchie in
Šmarje pri Jelšah/St. Marein bei Erlachstein überhaupt keine Rolle gespielt hätte.
Der Ort wäre demnach fest in slowenischer Hand gewesen: In ihm hätten einzig
und allein Slowenen gelebt, die nur auf Slowenisch kommuniziert und darüber
hinaus noch für das Deutsche gänzlich unbegabte Kinder in die Welt gesetzt hät-
ten. Demzufolge hätte in Šmarje das Deutsche so gut wie gar nicht existiert. Die
Resultate der österreichischen Volkszählungen geben derartigen Behauptungen
auch weitgehend recht: Schon von der ersten Erhebung an gaben nur eine Hand-
voll Bürger und Bürgerinnen des Gerichtsbezirks Šmarje/St. Marein das Deutsche
als Umgangssprache an: Im Jahre 1880 waren das 45 von 18.174, 1890 immerhin
106 von 18.745, 1900 hingegen 91 von 18.170 und 1910 schließlich 123 von
17.740.5 Insofern fußte die Position der lokalen Bezirksschulräte auf einem star-
ken Fundament. Denn wenn sich bereits in der Vorkriegszeit nur ein zu vernach-
lässigender Anteil von Einwohnern der ansässigen Bevölkerung auf Deutsch un-
terhalten hatte, bedeutete das nicht, dass im Jahre 1919 das Deutsche in den loka-
len Volksschulen des neugegründeten Staates der Südslawen erst recht nichts
mehr zu suchen habe?
Glücklicherweise verfügen Historikerinnen und Historiker neben den offiziel-
len Volkszählungsergebnissen auch über zahlreiche andere Quellen, welche im
vorliegenden Fall wesentlich subtilere Schichten der sprachlichen Realität in der
Untersteiermark zugänglich machen und uns darüber unterrichten, dass diese
Wirklichkeit bis 1918 viel bunter und vielschichtiger war, als dies die Bezirks-
schulräte wahrhaben wollten. Die Beispiele von nur drei Postkarten, die um die
Jahrhundertwende aus Šmarje pri Jelšah/St. Marein bei Erlachstein abgesandt
wurden, mögen dafür als Illustration dienen. Es geht um Ansichtskarten, die uns
einen Einblick jenseits der offiziellen Klassifikation der Volkszählung gewähren,
4 Vgl. ebda.
5 Die Angaben für den Gerichtsbezirk Šmarje/St. Marein (nach den Volkszählungen der
Jahre 1880, 1890, 1900, 1910) finden sich im Spezial-Orts-Repertorium von Steiermark
= Obširen imenik krajev na Štajerskem, Wien 1883; Special Orts-Repertorium von Stei-
ermark = Specijalni repertorij krajev na Štajerskem, Wien 1894; Leksikon občin za
Štajersko
: izdelan po rezultatih popisa ljudstva dne 31. grudna 1900 (Wien 1904); Spe-
cialni krajevni repertorij za Štajersko: izdelan na podlagi podatkov ljudskega štetja z
dne 31. decembra 1910 (Wien 1918).
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Title
- Bildspuren – Sprachspuren
- Subtitle
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Authors
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Editor
- Eva Tropper
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 346
- Keywords
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen