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330 | Jernej Kosi
wurden etwa 200-300 Lehrer von Volks- und Bürgerschulen sowie 36 Mittel-
schullehrer entlassen. Gleichzeitig mit dieser Entlassung von nicht angepasstem
Lehrpersonal versuchte die slowenische Schulverwaltung die Slowenisierung aber
auch durch die Ausübung von Druck auf die Eltern schulpflichtiger Kinder voran-
zutreiben, welche den Wunsch nach deutschsprachigem Unterricht für ihre Kinder
äußerten. Mit administrativer Gewalt, die auf einem teils ethnolinguistischen, teils
biologischen Verständnis von nationaler Identität fußte, wurde in wenigen Jahren
die Einschreibung von Kindern in deutsche Klassen stark dezimiert. In Celje, der
„Festung des untersteirischen Deutschtums“ in der Vorkriegszeit wurde es „nicht-
nationalbewussten slowenischen Eltern“ nachdrücklich verboten, ihre Kinder in
die deutschen Klassen einzuschreiben, sodass der Anteil der in die deutschen Pa-
rallelklassen der städtischen Volksschulen eingeschriebenen Kinder von ur-
sprünglich 150 Kindern bis zum Schuljahr 1921/22 auf 47 Kinder sank, „und zwar
21 Knaben und 26 Mädchen, von denen eigentlich nur 8 Kinder rein deutscher
Nationalität waren, weil beide Elternteile als Deutsche geboren wurden“.17 Die
Resozialisierung der „verführten slowenischen Jugend“, wie in der Schulchronik
der Volksschule von Celje ein Autor prahlt, sei bereits im ersten Schuljahr nach
der Befreiung vom deutschen Joch so erfolgreich gewesen, dass das „deutschtü-
melnde Eis gänzlich gebrochen“ sei. Dies sei insbesondere das Verdienst der Leh-
rerschaft gewesen, „welche mit gemäßigten Schritten und taktischem Gespür die
schon eingedeutschte Jugend zurück in den Schoß der Mutter Slowenien geführt
hätte, und zwar so schnell, dass es den Schülern selbst nicht bewusst wurde, wann
sich diese berechtigte Metamorphose abgespielt hat“.18
Auf den Postkarten der ersten Monate und Jahre nach Ende des Kriegs finden
wir zahlreiche Fragmente, mithilfe derer man sich ein noch deutlicheres Bild da-
von machen kann, mit welchen Maßnahmen die untersteirische Bevölkerung auf
individueller und kollektiver Ebene in den Jahren nach dem epochalen Umbruch
im Herbst 1918 konfrontiert wurde.19 Aus dem Inhalt der individuell notierten
Mitteilungen, welche die Schreiber ihren Adressaten übermittelten, können unter
anderem manchmal die Lebenserfahrungen der abziehenden deutschen Beamten
17 Angaben aus der Schulchronik von Šmarje pri Jelšah, zitiert nach Studen, „‚Odstran-
jevanje“, S. 162.
18 Ebda.
19 Karin Almasy, Eva Tropper, Štajer-mark: 1890-1920: Der gemeinsamen Geschichte
auf der Spur: Postkarten der historischen Untersteiermark: = Po sledeh skupne
preteklosti: razglednice zgodovinske Spodnje Štajerske, Laafeld/Potrna 2018, S. 162-
168.
Bildspuren – Sprachspuren
Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Title
- Bildspuren – Sprachspuren
- Subtitle
- Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie
- Authors
- Karin Almasy
- Heinrich Pfandl
- Editor
- Eva Tropper
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4998-1
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 346
- Keywords
- Postkarte, Mehrsprachigkeit, Habsburger Monarchie, Alltagsgeschichte, Kurznachrichtenträger, Alltagskommunikation, Fotografie, Untersteiermark, Mikrogeschichte, Eisenbahn, Tourismus
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen