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zackEnstil dEs südEns
Abschließend möchte ich zwei Aspekte hervorheben und ins Grundsätzliche
wenden: Erstens sei die Medialität angesprochen. „En somme, le style ... c’est le
diable“, sagt Paul Valérys Mephistopheles (Mon Faust),48 als Faust erklärt, er wolle
ein universales Buch in einem ganz eigenen Stil schreiben, der zwischen bizarr und
Gemeinplatz, phantastisch und rational, platt und subtil hin- und hergleitet – ein
Buch, dessen jeweils lokale Ausdrucksform vom jeweils lokalen Inhalt abhängt und
das eben dadurch universal ist. Faust bezieht sich auf die in der antiken Rhetorik
herrschende Lehre vom Stil als einem Vermittler, die in der neuzeitlichen The-
orie bildender Kunst Fuß gefasst hat (verwiesen sei auf Nicolas Poussin und die
Modus-Lehre)49, von der Kunsthistorik und insbesondere der Mediävistik neben
den taxonomischen Anwendungen (Attribution, Datierung, Periodisierung, Loka-
lisierung) aber lange vernachlässigt wurde.50 Wie der von Valérys Faust geplante
Text, ist das Florentiner Weltgerichtsbild des Jacobus und seiner Mitarbeiter dem
Stil nach pluralistisch. Und wenn der Zackenstil ausgerechnet in der Höllenzone
Verwendung fand, muss das nicht ausschließlich und nicht einmal vorrangig damit
zu tun haben, dass dieser Teil die Arbeit eines bestimmten Künstlers – des Jacobus
oder aber eines Mitarbeiters – ist. Während Dante sich in seiner Reisebeschrei-
bung auf den Höllengrund und die Begegnung mit Luzifer zubewegt, klagt er in
doppeltem Sinn rhetorisch: Er verfüge nicht über jene „harten und rauen Verse“
(rime aspre e chiocce), die es bräuchte, den folgenden Stoff authentisch darzubieten
(Inferno XXXII, 1–3). Man darf diese Klage nicht nur rhetorisch nennen, weil sie
mit der notorischen Metapher der Unsagbarkeit spielt, sondern vor allem, weil
vorausgesetzt wird, dass zur Vermittlung eines besonderen Themas eine besondere
sprachliche Form gehört. Ein kanonischer Modus im Sinn der Genera dicendi der
antiken Rhetorik-Lehre ist schwerlich gemeint; eher geht es bei „hart und rau“
um ein ästhetisches Aus-der-Rolle-Fallen, das dem Extremen der zu berichtenden
Vorgänge entspricht. Als visuelle Parallele dazu lässt sich im Gerichtsbild des Bap-
48 Paul Valéry: Oeuvres, Bd. 2, Paris 1960, S. 298. Valéry/Mephistopheles kritisiert dabei
das bekannte Diktum von Buffon: Le style c’est l’homme même.
49 Jan Białostocki: Das Modusproblem in den bildenden Künsten: Zur Vorgeschichte und
zum Nachleben des „Modusbriefes“ von Nicolas Poussin. In: Zeitschrift für Kunstge-
schichte 24 (1961), S. 128–141; Alain Mérot: „Manières“ et „modes“ chez André Félibien:
Les premières analyses du style de Nicolas Poussin. In: Les catégories stylistiques dans le
discours critique sur les arts, hg. von Marianne Cojannot-Le Blanc / Claude Pouzadoux
/ Évelyne Prioux, Paris 2014 (L’héroïque et le champêtre 1), S. 187–203.
50 Vgl. die Beiträge in dem Sammelband Stilfragen (zit. Anm. 38). Abb. 9: Ölberg-Mosaik, Venedig,
San Marco, erstes Viertel des
13. Jahrhunderts
Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
- Title
- Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
- Author
- Christine Beier
- Editor
- Michaela Schuller-Juckes
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21193-8
- Size
- 18.5 x 27.8 cm
- Pages
- 290
- Categories
- Geschichte Chroniken