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Als sich unter Abt Berthold nach 1200 die Lage im Kloster wieder zu konso-
lidieren schien, brach am 25. März 1215 ein Brand aus, der Kirche und Kloster in
Schutt und Asche legte und zwischenzeitlich sogar das Weiterbestehen des Klosters
in Frage stellte. Über die Anstrengungen Abt Bertholds zur Wiederherstellung in-
formieren zahlreiche Notizen und eine Abtchronik; daraus geht unter anderem
hervor, dass die Reliquien so stark zerstört waren, dass eine erneute Translation
von Martins- und jetzt auch Oswaldreliquien zur Neuweihe der Klosterkirche an
Martini 1217 nötig war.27 Beider Heiligen Fest wird im Berthold-Sakramentar mit
einem Seitenpaar ausgestattet: Oswald foll. 101v–102r, Martin foll. 125v–126r.
Die unter Berthold entstandenen Prachtcodices wurden oft in diesem Zusam-
menhang genannt und seit Swarzenski in die Zeit zwischen 1215 und 1217 datiert.
Das ist möglich, aber nicht zwingend, war doch Abt Bertholds gesamte Amtszeit
vor wie nach dem Brand gekennzeichnet von seinem Engagement für Kirche und
Kult: Er förderte die bis dahin eher obskure Heilig-Blut-Verehrung und -wallfahrt
sowie die Marienverehrung, ließ Wandmalereien, liturgische Geräte, Gewänder
und Bücher herstellen und war wahrscheinlich auch Gründer zahlreicher Kapellen
und Kirchen. Das Ganze wird selbstbewusst und wohlklingend von Chronisten
festgehalten, aber einer vorsichtigen Bemerkung über das fleißige Frequentieren des
Chorgebets von Seiten seines Nachfolgers Hugo darf man auch entnehmen, dass
es der getriebene und offenbar auch recht eitle Abt, der sich in acht Bildnissen ver-
ewigen ließ,28 damit nicht so genau nahm. Schulden hat er wohl auch hinterlassen.
Kurz noch zur weiteren Geschichte des Buches:29 Nach der Säkularisation 1803
gelangte Weingarten in den Besitz des Erbprinzen Friedrich-Wilhelm von Nas-
sau-Oranien, der die meisten Handschriften in seine Residenz nach Fulda schi-
cken ließ. Dort wurden die vier Bücher mit Prachteinbänden (zwei angelsächsische
Evangeliare aus dem Besitz der Judith von Flandern und zwei Sakramentare) von
einem französischen Stadtkommandanten der Bibliothek entnommen und nach
Paris geschickt; sie gelangten über den Kunsthandel in den Besitz Thomas Cokes,
des nachmaligen ersten Earl of Leicester, und wurden von einem seiner Nach-
kommen 1926 an John Pierpont Morgan Jr. verkauft. Seither gehören sie zum Be-
stand der 1924 gegründeten, heute als The Morgan Library & Museum bekannten
Sammlung in New York (M. 708–711).
Das Sakramentar: Aufbau und Ausstattung
Mit 165 Pergamentblättern der Maße 293 x 204 mm (22 Lagen, außer zu Beginn
und Ende fast ausschließlich Quaternionen) hat das Buch grob DIN A4-Format
27 Die Martinsreliquien hatte der Abt von der Reichenau erbeten und erhalten; die Re-
liquien des northumbrischen Königs Oswald († 642), die vermutlich ebenfalls durch
Judith ans Kloster gelangt waren, wurden bei dieser Neuweihe erstmals ebenfalls in
den Hauptaltar transferiert. – Zu den Quellen vgl. Hans-Ulrich Rudolf: Quellentexte
zum Wirken Abt Bertholds von Weingarten. In: Das Berthold-Sakramentar 1999 (zit.
Anm. 10), S. 257–271.
28 Ebenda, Anm. 83.
29 Vgl. William Voelkle: Zur Besitzgeschichte des Sakramentars. In: Das Berthold-Sakra-
mentar 2013–2014 (zit. Anm. 10), Bd. 1, S. 3–8.
Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
- Title
- Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
- Author
- Christine Beier
- Editor
- Michaela Schuller-Juckes
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21193-8
- Size
- 18.5 x 27.8 cm
- Pages
- 290
- Categories
- Geschichte Chroniken