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3. Theoretischer Analyserahmen 67
individueller Subjektivität mit intersubjektiven Prozessen in Verbindung
setzen.
Stojanov (vgl. 2006) stellt in seiner Studie dazu den bildungstheoreti-
schen Zusammenhang zwischen der Entwicklung individueller Subjekti-
vität und sozialen Anerkennungsformen her. Ausgangspunkt ist für ihn
der scheinbare Widerspruch zwischen der autonomen Subjektbildung des
Individuums und den vorstrukturierten Lernprozessen innerhalb pädago-
gischer Institutionen. Dieser Gegensatz wird aufgelöst, indem die Selbst-
entwicklung und die Welterschließung als intersubjektiv vermittelte Vor-
gänge aufgefasst werden, die auf Anerkennungsverhältnisse angewiesen
sind. Durch Anerkennungsprozesse entstehen immer neue intersubjektiv
vermittelte Selbstbeziehungsformen, welche die Entwicklung des Indivi-
duums konstituieren. Gleichzeitig wird es dadurch dazu veranlasst, über
die erreichten Formen der Spiegelung durch den anderen hinauszugehen
und damit auch erweiterte bzw. neue Formen der Anerkennung einzufor-
dern. Diese intersubjektiv vermittelten Vorgänge der Selbstentwicklung und
der Welterschließung werden bei Stojanov (vgl. ebd.) als Bildungsprozesse
interpretiert. Die Selbstentwicklung bezieht sich auf die Konstituierung
der Identität und Persönlichkeitseigenschaften des Individuums, der Be-
griff der Welterschließung umfasst den Erwerb von Kenntnissen, Werten,
Fähigkeiten und Fertigkeiten zur erfolgreichen gesellschaftlichen Integra-
tion. Während in der Anerkennungstheorie nach Honneth (vgl. 2014) Welt
ausschließlich als Existenz anderer Personen verstanden wird, erfolgt nach
Stojanov die Erfassung der Dynamik der Weltbilder und der Weltbezüge als
eine eigene Dimension der Subjektkonstitution. Anerkennungsprozesse er-
möglichen damit nicht nur die Selbstentwicklung des Individuums, sondern
auch die Welterschließung im Sinne eines Lernprozesses in Auseinanderset-
zung mit der eigenen Perspektive auf die Welt in Relation zu den Sichtwei-
sen relevanter anderer Personen (vgl. Stojanov 2006, S. 54ff.).
Diese anerkennungstheoretische Perspektive auf Bildungsprozesse wird
bei Scherr (vgl. 2013) in dem Ansatz einer »Pädagogik der Anerkennung«
aufgegriffen. Zu den zentralen pädagogischen Aufgaben gehört es demnach,
den Individuen Erfahrungen der Anerkennung zugänglich zu machen, um
Subjektivitätsentwicklung im Sinne von Selbstwahrnehmung, Selbstbewer-
tung und Selbstbewusstsein zu ermöglichen. Gesellschaftliche Strukturen
und Prozesse stellen Bedingungen dar, welche die Möglichkeiten der Ent-
faltung individueller Subjektivität und den Zugang zu Chancen sozialer
Bildungs- und Berufsberatung in der Migrationsgesellschaft
Pädagogische Perspektiven auf Beratung zur Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen
- Title
- Bildungs- und Berufsberatung in der Migrationsgesellschaft
- Subtitle
- Pädagogische Perspektiven auf Beratung zur Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen
- Author
- Birgit Schmidtke
- Publisher
- transcript Verlag
- Location
- Bielefeld
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4485-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 252
- Keywords
- Qualifikation, Integration, Bildungsberatung, Berufsberatung, Bildung, Bildungsforschung, Bildungssoziologie, Bildungstheorie, Pädagogik
- Category
- Recht und Politik