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Bildungs- und Berufsberatung in der
Migrationsgesellschaft94
4.1 Das Verhältnis von theoretischem Vorwissen
und Expert_innenwissen
Insbesondere in der qualitativen Forschungstradition zeigt sich eine kont-
roverse Diskussion zum Stellenwert von theoretischem Vorwissen im For-
schungsprozess. Lamnek (2010, S.Â
19) fĂĽhrt in Abgrenzung zur quantitativen
Sozialforschung grundlegende Prinzipien aus, welche zu einer »Program-
matik qualitativer Sozialforschung« zusammengefasst werden können. Ein
qualitativ orientierter Forschungszugang erfordert demnach eine offene
Grundhaltung gegenĂĽber den Untersuchungspersonen, der Untersuchungs-
situation und den zu verwendenden Methoden. Im Unterschied zu den stark
standardisierten Erhebungsmethoden in der quantitativen Forschung wird
damit die explorative Funktion des Forschungszugangs betont. Der Beginn
des Forschungsprozesses ist durch einen möglichst weiten und offenen
Blickwinkel bestimmt, der im Verlauf des Forschungsprozesses durch den
kontinuierlichen Einbezug der gewonnenen Erkenntnisse in das Erhebungs-
verfahren enger gefasst wird. Es wird jedoch explizit hervorgehoben, dass
dieser offene Forschungszugang nicht bedeutet, theoretisches Vorwissen zu
vernachlässigen (vgl. ebd., S. 19ff.). An dieser Stelle weisen Kelle und Kluge
(vgl. 2010) kritisch darauf hin, dass in der qualitativen Forschung empiri-
sches Material zwar den Ausgangspunkt zur Hypothesenentwicklung bil-
det, jedoch die Entwicklung qualitativer Konzepte immer auch theoretisch
begrĂĽndet sein muss. Bereits die Auswahl und Konzeption der Erhebungs-
instrumente erfolgt in einem theoretischen Kontext und ist damit auf theo-
retisches Vorwissen angewiesen. Theoretisches Vorwissen prägt zudem den
spezifischen Blickwinkel, der es den Forscher_innen erst ermöglicht, die Re-
levanz von Daten und darin enthaltene Anomalien zu erkennen und daraus
spezifische Theorien zu entwickeln (vgl. ebd., S. 28ff.).
Meuser und Nagel (vgl. 1991) unterscheiden in einem systematisierenden
Zugriff zwischen unterschiedlichen Forschungsdesigns, in denen Expert_
inneninterviews eine jeweils spezifische Rolle einnehmen. Demnach kön-
nen die Interviews im Zentrum der Datenerhebung stehen oder ergänzend
zu weiteren Datenquellen in einem explorativen Sinn herangezogen werden.
Bei einer zentralen Stellung im Forschungsdesign wird weiter zwischen
unterschiedlichen Funktionen des Erfahrungswissens der Interviewpart-
ner_innen unterschieden. Die Expert_innen können selbst als Zielgruppe
der Untersuchung definiert werden und »Betriebswissen« zur Verfügung
Bildungs- und Berufsberatung in der Migrationsgesellschaft
Pädagogische Perspektiven auf Beratung zur Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen
- Title
- Bildungs- und Berufsberatung in der Migrationsgesellschaft
- Subtitle
- Pädagogische Perspektiven auf Beratung zur Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen
- Author
- Birgit Schmidtke
- Publisher
- transcript Verlag
- Location
- Bielefeld
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4485-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 252
- Keywords
- Qualifikation, Integration, Bildungsberatung, Berufsberatung, Bildung, Bildungsforschung, Bildungssoziologie, Bildungstheorie, Pädagogik
- Category
- Recht und Politik