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3 Umwelt in Gesellschaft, Politik & Recht
Mensch ist „nicht etwas, das bloß als Mittel gebraucht werden kann“; der Mensch
„muss bei allen seinen Handlungen jederzeit als Zweck an sich selbst betrachtet werden“
(Kant 1785/1975, BA S. 66f.). Dies ist gleichbedeutend mit der „Autonomie und
Würde … der menschlichen und jeder vernünftigen Natur“ (Kant 1785/1975, BA S. 79).
Der Philosoph Ernst Tugendhat hat die dritte Formulierung des kategorischen
Imperativs knapp zusammengefasst: „Instrumentalisiere niemanden“ (Tugendhat
1993, S. 80). Man könnte vielleicht auch sagen: Jeder Mensch hat Würde und Eigen-
wert und darf nicht verzweckt werden. Dies zeigt sehr deutlich, dass Kant nicht bei
einer rein subjektivistischen, nur für das Individuum selbst gültigen moralischen
Position stehen bleibt, auch wenn er eine personale Formulierung wählt. Hier steht
ein allgemein verbindlich gemeintes „Prinzip der Menschheit“ (Kant 1785/1975,
BA S. 69), ein Menschheitsgebot oder Menschheitsgesetz. Hier ist das angesprochen,
was wir heute Menschenwürde nennen.
Kants moraltheoretische Überlegungen sind für den zwischenmenschlichen Bereich
entwickelt worden. Sie könnten aber möglicherweise auch eine bewusstere Reflexion
menschlichen Handelns mit Relevanz für die Naturzusammenhänge, in die wir ein-
gebunden sind, anleiten. Ich könnte überlegen, ob es in meinem alltäglichen Handeln
Handlungsmaximen gibt, die Umweltfolgen in vernünftiger Weise im Blick haben.
Wenn ich mögliche Maximen bzw. grundlegende Handlungsprinzipien erkenne,
könnte ich den kategorischen Imperativ anwenden, um zu prüfen, ob sie moralisch
vertretbar sind und ob sie – zumindest tendenziell – allgemeingültig sein könnten
(Könnten sie allgemeines Gesetz werden? Könnte ich das wollen?). So könnte die be-
wusste Berücksichtigung von Umweltfolgen oder allgemeiner von Folgen des Handelns
Fallbeispiel 3.1.1: Reduktion des persönlichen CO2-Beitrags
Bekanntlich ist der CO₂-Ausstoß von technischen Prozessen, die Menschen nutzen, eine wesentliche
Ursache für den stattfindenden Klimawandel. Ich könnte nach einer Handlungsmaxime suchen, die
meinen CO₂-Beitrag auf ein vertretbares Maß reduzieren kann. Welche Jahresmenge an CO₂ – ver-
ursacht durch die ganze Menschheit – gilt nach wissenschaftlicher Erkenntnis noch als vertretbar?
Diese Zahl dividiere ich durch die Gesamtzahl der Menschen und erhalte wohl etwa 2–3 Tonnen
pro Jahr. Ich stelle als Handlungsmaxime auf, dass ich im Jahresmittel durch mein Handeln (Strom-
verbrauch, Wärmebedarf, Mobilität, Kleidung, Nahrung, Herstellung und Nutzung technischer Geräte,
Infrastruktur in meiner Lebensregion etc.) nur die noch vertretbare CO₂-Menge der Weltbevölkerung
pro Kopf freisetzen soll. Zur Umsetzung müsste ich herausfinden, wie viel CO₂ meine alltäglichen Ver-
richtungen und genutzten Güter freisetzen, und dann der Maxime entsprechende Verbrauchsreduktio-
nen vornehmen, um meine CO₂-Freisetzung auf das notwendige Maß (wohl etwa auf die Hälfte oder ein
Drittel) zu reduzieren. Es ist nun zu überlegen: Wäre das vernünftig? Kann ich das als Individuum
erreichen? Kann dies ohne weitere gesamtgesellschaftliche Maßnahmen gelingen? Hält die ge-
wählte Maxime der Überprüfung durch den kategorischen Imperativ stand? Wäre eine solche Pro-
Kopf-Regel für alle Menschen in allen Erdregionen sinnvoll, fair und akzeptabel?
Umwelt- und Bioressourcenmanagement für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung
- Title
- Umwelt- und Bioressourcenmanagement für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung
- Authors
- Erwin Schmid
- Tobias Pröll
- Publisher
- Springer Spektrum
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-662-60435-9
- Size
- 17.3 x 24.6 cm
- Pages
- 288
- Keywords
- Umweltmanagement, Bioressourcen, Nachhaltigkeit, Sustainability, Universität für Bodenkultur
- Categories
- Naturwissenschaften Umwelt und Klima