Page - 57 - in Umwelt- und Bioressourcenmanagement für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung
Image of the Page - 57 -
Text of the Page - 57 -
57
Umwelt in Gesellschaft, Politik & Recht 3
Verletzlichkeit gegenüber den exzessiven Eingriffen des Menschen ihren Anteil an
der Achtung, die allem gebührt, das seinen Zweck in sich selbst trägt – d.h. allem
Lebendigen“ (Jonas 1993, S. 85). Bemerkenswert ist, dass Kants dritte Formulierung
des kategorischen Imperativs, die den Eigenwert jedes Menschen betont, hier erwei-
tert wird auf nichtmenschliches Leben auf diesem Planeten.
Wie kann man nun unter Nutzung des neuen Imperativs konkret vorgehen? Aus
Jonas' Sicht besteht die Schwierigkeit dabei darin, dass das konkrete Folgewissen
über technisches Tun in der Welt hinter dem technischen Wissen her hinkt.4 Was
kann man dennoch ethisch verantwortlich tun? Wie kann eine „Zukunftsethik“
(Jonas 1979, S. 39) praktisch aussehen? Jonas schlägt zwei wichtige Elemente der
Vorgehensweise einer Zukunftsethik vor: eine „Heuristik der Furcht“ und einen
„Vorrang der schlechten Prognose“.
„Heuristik der Furcht“ (Jonas 1979, S. 63ff.) meint, dass die Furcht als Erkenntnis
gewinnendes Instrumentarium genutzt werden soll. Wir müssten erstens eine Vor-
stellung von den Fernwirkungen unseres technischen Handelns in der Welt gewin-
nen und eine Haltung dazu einnehmen. Man müsse sich auf das Fürchten einlassen
und das mögliche Schlechte, das bewirkt werden kann, als etwas bereits jetzt Erfahr-
bares erkennen. Zweitens müsse man dann ein angemessenes Gefühl entstehen
lassen (entsprechend dem Vorgestellten). Man müsse „sich vom erst [nur] gedachten
Heil und Unheil kommender Geschlechter affizieren … lassen“. Dies soll eine
„Furcht geistiger Art“ sein, jedoch nicht eine Furcht, die uns von außen befällt und
ohnmächtig macht. Sie soll helfen, eine Haltung zu den Dingen einzunehmen, die
durch das kollektive Handeln der Menschheit kommen können.
Damit Nutzenerwägungen die Schadensbedenken nicht überschatten oder über-
trumpfen können, steht der mögliche Nutzen aus menschlichem Handeln nicht im
Vordergrund. Die Furcht vor Schädigungen, auf die man sich einlassen soll, muss
allerdings eine „begründete Furcht“ sein (Jonas 1979, S. 392). Sie soll nicht rein gefühls-
mäßig bleiben, sondern muss auch für andere nachvollziehbar begründet werden können.
Als zweites Element der Vorgehensweise schlägt Jonas (1979, S. 70ff.) den „Vorrang
der schlechten vor der guten Prognose“ vor. Angesichts der Unsicherheit aller Zu-
kunftsprojektionen und dem Vorwärtsdrängen des „Großunternehmens der moder-
nen Technologie“ als Ganzem müsse „die Vorschrift, primitiv gesagt, [heißen,] dass
____________________
4 Für Jonas war wohl die in den 1970er-Jahren neu entstehende Technikfolgenabschätzung noch
kein überzeugendes Konzept, mit dem diese Wissenslücke überbrückt werden könnte. Heute gibt
es Bemühungen zur vorausschauenden, prospektiven Wissenschafts- und Technikfolgenforschung
(Liebert und Schmidt 2010, 2018). Weiterhin gibt es viele historische Beispiele, in denen durchaus
frühzeitige Warnungen ausgesprochen wurden. Lehren wurden aber erst viel später daraus gezo-
gen. Umweltrelevante Beispiele finden sich in UBA (2004).
Umwelt- und Bioressourcenmanagement für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung
- Title
- Umwelt- und Bioressourcenmanagement für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung
- Authors
- Erwin Schmid
- Tobias Pröll
- Publisher
- Springer Spektrum
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-662-60435-9
- Size
- 17.3 x 24.6 cm
- Pages
- 288
- Keywords
- Umweltmanagement, Bioressourcen, Nachhaltigkeit, Sustainability, Universität für Bodenkultur
- Categories
- Naturwissenschaften Umwelt und Klima