Page - 12 - in Briefe an den Vater
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wenn Du glaubst, ich hätte mich Dir nie gefügt. »Immer alles contra« ist
wirklich nicht mein Lebensgrundsatz Dir gegenüber gewesen, wie Du glaubst
und mir vorwirfst. Im Gegenteil: hätte ich Dir weniger gefolgt, Du wärest
sicher viel zufriedener mit mir. Vielmehr haben alle Deine
Erziehungsmaßnahmen genau getroffen; keinem Griff bin ich ausgewichen;
so wie ich bin, bin ich (von den Grundlagen und der Einwirkung des Lebens
natürlich abgesehen) das Ergebnis Deiner Erziehung und meiner Folgsamkeit.
Daß dieses Ergebnis Dir trotzdem peinlich ist, ja daß Du Dich unbewußt
weigerst, es als Dein Erziehungsergebnis anzuerkennen, liegt eben daran, daß
Deine Hand und mein Material einander so fremd gewesen sind. Du sagtest:
»Kein Wort der Widerrede!« und wolltest damit die Dir unangenehmen
Gegenkräfte in mir zum Schweigen bringen, diese Einwirkung war aber für
mich zu stark, ich war zu folgsam, ich verstummte gänzlich, verkroch mich
vor Dir und wagte mich erst zu regen, wenn ich so weit von Dir entfernt war,
daß Deine Macht, wenigstens direkt, nicht mehr hinreichte. Du aber standst
davor, und alles schien Dir wieder »contra« zu sein, während es nur
selbstverständliche Folge Deiner Stärke und meiner Schwäche war.
Deine äußerst wirkungsvollen, wenigstens mir gegenüber niemals
versagenden rednerischen Mittel bei der Erziehung waren: Schimpfen,
Drohen, Ironie, böses Lachen und – merkwürdigerweise – Selbstbeklagung.
Daß Du mich direkt und mit ausdrücklichen Schimpfwörtern beschimpft
hättest, kann ich mich nicht erinnern. Es war auch nicht nötig, Du hattest so
viele andere Mittel, auch flogen im Gespräch zu Hause und besonders im
Geschäft die Schimpfwörter rings um mich in solchen Mengen auf andere
nieder, daß ich als kleiner Junge manchmal davon fast betäubt war und keinen
Grund hatte, sie nicht auch auf mich zu beziehen, denn die Leute, die Du
beschimpftest, waren gewiß nicht schlechter als ich, und Du warst gewiß mit
ihnen nicht unzufriedener als mit mir. Und auch hier war wieder Deine
rätselhafte Unschuld und Unangreifbarkeit, Du schimpftest, ohne Dir
irgendwelche Bedenken deshalb zu machen, ja Du verurteiltest das Schimpfen
bei anderen und verbotest es.
Das Schimpfen verstärktest Du mit Drohen, und das galt nun auch schon
mir. Schrecklich war mir zum Beispiel dieses: »ich zerreiße Dich wie einen
Fisch«, trotzdem ich ja wußte, daß dem nichts Schlimmeres nachfolgte (als
kleines Kind wußte ich das allerdings nicht), aber es entsprach fast meinen
Vorstellungen von Deiner Macht, daß Du auch das imstande gewesen wärest.
Schrecklich war es auch, wenn Du schreiend um den Tisch herumliefst, um
einen zu fassen, offenbar gar nicht fassen wolltest, aber doch so tatest und die
Mutter einen schließlich scheinbar rettete. Wieder hatte man einmal, so schien
es dem Kind, das Leben durch Deine Gnade behalten und trug es als Dein
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Briefe an den Vater
- Title
- Briefe an den Vater
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1919
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 40
- Categories
- Weiteres Belletristik