Page - 14 - in Briefe an den Vater
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man überzeugt war, daß sich ein Anlaß jedenfalls finden würde, nahm man
sich nicht besonders zusammen, auch stumpfte man unter der fortwährenden
Drohung ab; daß man nicht geprügelt wurde, dessen war man ja allmählich
fast sicher. Man wurde ein mürrisches, unaufmerksames, ungehorsames Kind,
immer auf eine Flucht, meist eine innere, bedacht. So littest Du, so litten wir.
Du hattest von Deinem Standpunkt ganz recht, wenn Du mit
zusammengebissenen Zähnen und dem gurgelnden Lachen, welches dem
Kind zum erstenmal höllische Vorstellungen vermittelt hatte, bitter zu sagen
pflegtest (wie erst letzthin wegen eines Konstantinopler Briefes): »Das ist
eine Gesellschaft!«
Ganz unverträglich mit dieser Stellung zu Deinen Kindern schien es zu
sein, wenn Du, was ja sehr oft geschah, öffentlich Dich beklagtest. Ich
gestehe, daß ich als Kind (später wohl) dafür gar kein Gefühl hatte und nicht
verstand, wie Du überhaupt erwarten konntest, Mitgefühl zu finden. Du warst
so riesenhaft in jeder Hinsicht; was konnte Dir an unserem Mitleid liegen
oder gar an unserer Hilfe? Die mußtest Du doch eigentlich verachten, wie uns
selbst so oft. Ich glaubte daher den Klagen nicht und suchte irgendeine
geheime Absicht hinter ihnen. Erst später begriff ich, daß Du wirklich durch
die Kinder sehr littest, damals aber, wo die Klagen noch unter anderen
Umständen einen kindlichen, offenen, bedenkenlosen, zu jeder Hilfe bereiten
Sinn hätten antreffen können, mußten sie mir wieder nur überdeutliche
Erziehungs- und Demütigungsmittel sein, als solche an sich nicht sehr stark,
aber mit der schädlichen Nebenwirkung, daß das Kind sich gewöhnte, gerade
Dinge nicht sehr ernst zu nehmen, die es ernst hätte nehmen sollen.
Es gab glücklicherweise davon allerdings auch Ausnahmen, meistens wenn
Du schweigend littest und Liebe und Güte mit ihrer Kraft alles
Entgegenstehende überwand und unmittelbar ergriff. Selten war das
allerdings, aber es war wunderbar. Etwa wenn ich Dich früher in heißen
Sommern mittags nach dem Essen im Geschäft müde ein wenig schlafen sah,
den Ellbogen auf dem Pult, oder wenn Du sonntags abgehetzt zu uns in die
Sommerfrische kamst; oder wenn Du bei einer schweren Krankheit der
Mutter zitternd vom Weinen Dich am Bücherkasten festhieltest; oder wenn
Du während meiner letzten Krankheit leise zu mir in Ottlas Zimmer kamst,
auf der Schwelle bliebst, nur den Hals strecktest, um mich im Bett zu sehn,
und aus Rücksicht nur mit der Hand grüßtest. Zu solchen Zeiten legte man
sich hin und weinte vor Glück und weint jetzt wieder, während man es
schreibt.
Du hast auch eine besonders schöne, sehr selten zu sehende Art eines
stillen, zufriedenen, gutheißenden Lächelns, das den, dem es gilt, ganz
glücklich machen kann. Ich kann mich nicht erinnern, daß es in meiner
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Briefe an den Vater
- Title
- Briefe an den Vater
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1919
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 40
- Categories
- Weiteres Belletristik