Page - 15 - in Briefe an den Vater
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Kindheit ausdrücklich mir zuteil geworden wäre, aber es dürfte wohl
geschehen sein, denn warum solltest Du es mir damals verweigert haben, da
ich Dir noch unschuldig schien und Deine große Hoffnung war. Übrigens
haben auch solche freundliche Eindrücke auf die Dauer nichts anderes erzielt,
als mein Schuldbewußtsein vergrößert und die Welt mir noch
unverständlicher gemacht.
Lieber hielt ich mich ans Tatsächliche und Fortwährende. Um mich Dir
gegenüber nur ein wenig zu behaupten, zum Teil auch aus einer Art Rache,
fing ich bald an, kleine Lächerlichkeiten, die ich an Dir bemerkte, zu
beobachten, zu sammeln, zu übertreiben. Wie Du zum Beispiel leicht Dich
von meist nur scheinbar höherstehenden Personen blenden ließest und davon
immerfort erzählen konntest, etwa von irgendeinem kaiserlichen Rat oder
dergleichen (andererseits tat mir etwas Derartiges auch weh, daß Du, mein
Vater, solche nichtige Bestätigungen Deines Wertes zu brauchen glaubtest und
mit ihnen großtätest). Oder ich beobachtete Deine Vorliebe für unanständige,
möglichst laut herausgebrachte Redensarten, über die Du lachtest, als hättest
Du etwas besonders Vortreffliches gesagt, während es eben nur eine platte,
kleine Unanständigkeit war (gleichzeitig war es allerdings auch wieder eine
mich beschämende Äußerung Deiner Lebenskraft). Solcher verschiedener
Beobachtungen gab es natürlich eine Menge; ich war glücklich über sie, es
gab für mich Anlaß zu Getuschel und Spaß, Du bemerktest es manchmal,
ärgertest Dich darüber, hieltest es für Bosheit, Respektlosigkeit, aber glaube
mir, es war nichts anderes für mich als ein übrigens untaugliches Mittel zur
Selbsterhaltung, es waren Scherze, wie man sie über Götter und Könige
verbreitet, Scherze, die mit dem tiefsten Respekt nicht nur sich verbinden
lassen, sondern sogar zu ihm gehören.
Auch Du hast übrigens, entsprechend Deiner ähnlichen Lage mir
gegenüber, eine Art Gegenwehr versucht. Du pflegtest darauf hinzuweisen,
wie übertrieben gut es mir ging und wie gut ich eigentlich behandelt worden
bin. Das ist richtig, ich glaube aber nicht, daß es mir unter den einmal
vorhandenen Umständen im wesentlichen genützt hat.
Es ist wahr, daß die Mutter grenzenlos gut zu mir war, aber alles das stand
für mich in Beziehung zu Dir, also in keiner guten Beziehung. Die Mutter
hatte unbewußt die Rolle eines Treibers in der Jagd. Wenn schon Deine
Erziehung in irgendeinem unwahrscheinlichen Fall mich durch Erzeugung
von Trotz, Abneigung oder gar Haß auf eigene Füße hätte stellen können, so
glich das die Mutter durch Gutsein, durch vernünftige Rede (sie war im
Wirrwarr der Kindheit das Urbild der Vernunft), durch Fürbitte wieder aus,
und ich war wieder in Deinen Kreis zurückgetrieben, aus dem ich sonst
vielleicht, Dir und mir zum Vorteil, ausgebrochen wäre. Oder es war so, daß
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Briefe an den Vater
- Title
- Briefe an den Vater
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1919
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 40
- Categories
- Weiteres Belletristik