Page - 17 - in Briefe an den Vater
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wolltest Du doch gar nicht, das bezeichnetest Du als Undankbarkeit,
Überspanntheit, Ungehorsam, Verrat, Verrücktheit. Während Du also von
einer Seite durch Beispiel, Erzählung und Beschämung dazu locktest,
verbotest Du es auf der anderen Seite allerstrengstens. Sonst hättest Du zum
Beispiel, von den Nebenumständen abgesehen, von Ottlas Zürauer Abenteuer
eigentlich entzückt sein müssen. Sie wollte auf das Land, von dem Du
gekommen warst, sie wollte Arbeit und Entbehrungen haben, wie Du sie
gehabt hattest, sie wollte nicht Deine Arbeitserfolge genießen, wie auch Du
von Deinem Vater unabhängig gewesen bist. Waren das so schreckliche
Absichten? So fern Deinem Beispiel und Deiner Lehre? Gut, die Absichten
Ottlas mißlangen schließlich im Ergebnis, wurden vielleicht etwas lächerlich,
mit zuviel Lärm ausgeführt, sie nahm nicht genug Rücksicht auf ihre Eltern.
War das aber ausschließlich ihre Schuld, nicht auch die Schuld der
Verhältnisse und vor allem dessen, daß Du ihr so entfremdet warst? War sie
Dir etwa (wie Du Dir später selbst einreden wolltest) im Geschäft weniger
entfremdet, als nachher in Zürau? Und hättest Du nicht ganz gewiß die Macht
gehabt (vorausgesetzt, daß Du Dich dazu hättest überwinden können), durch
Aufmunterung, Rat und Aufsicht, vielleicht sogar nur durch Duldung aus
diesem Abenteuer etwas sehr Gutes zu machen?
Anschließend an solche Erfahrungen pflegtest Du in bitterem Scherz zu
sagen, daß es uns zu gut ging. Aber dieser Scherz ist in gewissem Sinn keiner.
Das, was Du Dir erkämpfen mußtest, bekamen wir aus Deiner Hand, aber den
Kampf um das äußere Leben, der Dir sofort zugänglich war und der natürlich
auch uns nicht erspart bleibt, den müssen wir uns erst spät, mit Kinderkraft im
Mannesalter erkämpfen. Ich sage nicht, daß unsere Lage deshalb unbedingt
ungünstiger ist als es Deine war, sie ist jener vielmehr wahrscheinlich
gleichwertig – (wobei allerdings die Grundanlagen nicht verglichen sind), nur
darin sind wir im Nachteil, daß wir mit unserer Not uns nicht rühmen und
niemanden mit ihr demütigen können, wie Du es mit Deiner Not getan hast.
Ich leugne auch nicht, daß es möglich gewesen wäre, daß ich die Früchte
Deiner großen und erfolgreichen Arbeit wirklich richtig hätte genießen,
verwerten und mit ihnen zu Deiner Freude hätte weiterarbeiten können, dem
aber stand eben unsere Entfremdung entgegen. Ich konnte, was Du gabst,
genießen, aber nur in Beschämung, Müdigkeit, Schwäche, Schuldbewußtsein.
Deshalb konnte ich Dir für alles nur bettlerhaft dankbar sein, durch die Tat
nicht.
Das nächste äußere Ergebnis dieser ganzen Erziehung war, daß ich alles
floh, was nur von der Ferne an Dich erinnerte. Zuerst das Geschäft. An und
für sich besonders in der Kinderzeit, solange es ein Gassengeschäft war, hätte
es mich sehr freuen müssen, es war so lebendig, abends beleuchtet, man sah,
man hörte viel, konnte hie und da helfen, sich auszeichnen, vor allem aber
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Briefe an den Vater
- Title
- Briefe an den Vater
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1919
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 40
- Categories
- Weiteres Belletristik