Page - 18 - in Briefe an den Vater
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Dich bewundern in Deinen großartigen kaufmännischen Talenten, wie Du
verkauftest, Leute behandeltest, Späße machtest, unermüdlich warst, in
Zweifelsfällen sofort die Entscheidung wußtest und so weiter; noch wie Du
einpacktest oder eine Kiste aufmachtest, war ein sehenswertes Schauspiel und
das Ganze alles in allem gewiß nicht die schlechteste Kinderschule. Aber da
Du allmählich von allen Seiten mich erschrecktest und Geschäft und Du sich
mir deckten, war mir auch das Geschäft nicht mehr behaglich. Dinge, die mir
dort zuerst selbstverständlich gewesen waren, quälten, beschämten mich,
besonders Deine Behandlung des Personals. Ich weiß nicht, vielleicht ist sie
in den meisten Geschäften so gewesen (in der Assecurazioni Generali, zum
Beispiel, war sie zu meiner Zeit wirklich ähnlich, ich erklärte dort dem
Direktor, nicht ganz wahrheitsgemäß, aber auch nicht ganz erlogen, meine
Kündigung damit, daß ich das Schimpfen, das übrigens mich direkt gar nicht
betroffen hatte, nicht ertragen könne; ich war darin zu schmerzhaft
empfindlich schon von Hause her), aber die anderen Geschäfte kümmerten
mich in der Kinderzeit nicht. Dich aber hörte und sah ich im Geschäft
schreien, schimpfen und wüten, wie es meiner damaligen Meinung nach in
der ganzen Welt nicht wieder vorkam. Und nicht nur schimpfen, auch
sonstige Tyrannei. Wie Du zum Beispiel Waren, die Du mit anderen nicht
verwechselt haben wolltest, mit einem Ruck vom Pult hinunterwarfst – nur
die Besinnungslosigkeit Deines Zorns entschuldigte Dich ein wenig – und der
Kommis sie aufheben mußte. Oder Deine ständige Redensart hinsichtlich
eines lungenkranken Kommis: »Er soll krepieren, der kranke Hund.« Du
nanntest die Angestellten »bezahlte Feinde«, das waren sie auch, aber noch
ehe sie es geworden waren, schienst Du mir ihr »zahlender Feind« zu sein.
Dort bekam ich auch die große Lehre, daß Du ungerecht sein könntest; an mir
selbst hätte ich es nicht sobald bemerkt, da hatte sich ja zuviel Schuldgefühl
angesammelt, das Dir recht gab; aber dort waren nach meiner, später natürlich
ein wenig, aber nicht allzusehr korrigierten Kindermeinung fremde Leute, die
doch für uns arbeiteten und dafür in fortwährender Angst vor Dir leben
mußten. Natürlich übertrieb ich da, und zwar deshalb, weil ich ohneweiters
annahm, Du wirktest auf die Leute ebenso schrecklich wie auf mich. Wenn
das so gewesen wäre, hätten sie wirklich nicht leben können; da sie aber
erwachsene Leute mit meist ausgezeichneten Nerven waren, schüttelten sie
das Schimpfen ohne Mühe von sich ab und es schadete Dir schließlich viel
mehr als ihnen. Mir aber machte es das Geschäft unleidlich, es erinnerte mich
allzusehr an mein Verhältnis zu Dir: Du warst, ganz abgesehen vom
Unternehmerinteresse und abgesehen von Deiner Herrschsucht schon als
Geschäftsmann allen, die jemals bei Dir gelernt haben, so sehr überlegen, daß
Dich keine ihrer Leistungen befriedigen konnte, ähnlich ewig unbefriedigt
mußtest Du auch von mir sein. Deshalb gehörte ich notwendig zur Partei des
Personals, übrigens auch deshalb, weil ich schon aus Ängstlichkeit nicht
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Briefe an den Vater
- Title
- Briefe an den Vater
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1919
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 40
- Categories
- Weiteres Belletristik